Baby-Bingo
tun.«
Überwachungskameras? Okay. Ich sehe im Zeitraffer vor mir, wie sich meine Kollegen immer wieder das Video ansehen, in dem ich Sex in einem Mini habe. Immerhin mit der eigenen Frau, was im Verlag nicht bei allen Tradition hat. Allerdings recht unbequemen, wie ich schmerzlich erfahren musste. Denn es gab in Form des Schaltknüppels harte Phalluskonkurrenz. Vermutlich komme ich nun langsam in das Alter, in dem man für sein Liebesleben ein gepflegtes Bett den ungewöhnlichen und exotischen Orten vorzieht.
»Kameras, eine gute Idee …«, höre ich mich sagen.
»Ja, seitdem ist auch nichts mehr passiert«, pflichtet mir Herr Raske bei.
Ich finde, er sagt es ohne spöttischen Unterton. Aber ganz sicher bin ich mir nicht.
»Ja, meine Frau hat mir noch ein paar wichtige Unterlagen gebracht. Also, ich muss los, bin spät dran. Wir haben gleich eine wichtige Konferenz.«
»Na, dann mal viel Vergnügen«, sagt Herr Raske.
Hat er das Wort »Vergnügen« nicht irgendwie seltsam betont?
Die folgenden sechs Stunden werden zu den qualvollsten meines Lebens. Ich wage es nicht, nach der Konferenz nochmals in die Tiefgarage zu gehen, um sofort nachzusehen, wohin genau die Kameras gerichtet sind. So würde ich endgültig Herrn Raskes Misstrauen wecken. Am Ende hält er mich noch für den Autoknacker.
Erst als ich am Abend das Haus verlasse, kann ich die Kamerawinkel unauffällig checken. Was für ein Glück, der Bereich des Besucherparkplatzes, auf dem Carla und ich vor ein paar Stunden für einen zukünftigen Rentenzahler sorgen wollten, ist von den Kameras nicht erfasst. Er ist wohl keine gefährdete Zone für Straftaten.
Im Gegensatz zu Paris Hilton wird es von mir also vorerst kein öffentliches Sexvideo geben. Das ist die gute Nachricht. Die schlechte erfahren wir zwei Wochen später: Wir werden kein Tiefgaragenbaby bekommen.
»Ihr müsst doch nicht extra kommen«, sagte mein Vater am Telefon. Das sagt er immer. Und meint es auch so. Denn er gehört noch einer Generation an, die sich selbst nicht allzu wich tig nimmt. Eine aussterbende Generation.
Mein Vater feiert an diesem Wochenende seinen 75. Geburtstag. »Ist doch nur ein halb runder«, erklärte er bescheiden. Aber da der Geburtstag auf einen Samstag fällt, haben Carla und ich beschlossen, meine Eltern am Wochenende zu besuchen und mit ihnen zu feiern.
Ein Ausflug, der nicht ganz selbstlos ist. Denn meine Eltern wohnen in einer kleinen, idyllischen Stadt in Südtirol, in der ich auch aufgewachsen bin. Es ist immer wie ein Kurzurlaub, in diese Bilderbuchwelt einzutauchen, in der man schöne Bergtouren machen und im Winter Ski fahren kann.
Viele meiner Jugendfreunde sind in meiner Geburtsstadt geblieben. Und manchmal beneide ich sie. Sie wirken äußerlich gelassener und glücklicher als ich und meine Freunde in München, von denen einige fast jedes Wochenende über die chronisch überlastete Autobahn hierher nach Südtirol kommen. Auf der Suche nach einem Stückchen Authentizität und Urigkeit. Aber wirklich dazugehören werden sie nie.
Wenn ich also, wie heute an einem Samstagvormittag, mit Carla durch die etwa dreihundert Meter lange Fußgängerzone bummle, höre ich ein »Hoila, Martin« von allen Seiten. Die dreihundert Meter dauern ein Stunde, weil sich hier jeder noch Zeit für ein Gespräch nimmt.
Und nicht nur dafür. Auch die Familienplanung wird sichtlich konsequent und frühzeitig angegangen. Die Frage unter 40-plus-Freunden ist nicht wie in München ein diplomatisches: »Habt ihr Kinder?«, sondern ein unverblümtes: »Wie viela Kindo hoppas’n ietz?« Und es wird eine Zahl von mindestens zwei aufwärts erwartet.
Auch heute haben wir uns wieder langsam vorangearbeitet, viele Bekannte und Schulfreunde getroffen, als plötzlich Walter vor uns steht. Seinem Vater, einem Bauunternehmer, gehört quasi das halbe Tal. Und auch Walter hat im väterlichen Unternehmen Karriere gemacht, obwohl er in der Schule eher durch große Sprüche als durch große Leistungen auf sich aufmerksam machte. Aber die Provinz hat ihre eigenen Gesetze, und viele Hinterbänkler aus meiner Klasse haben es zu erstaunlichem Wohlstand und Selbstbewusstsein gebracht.
Walter begrüßt mich überschwänglich, obwohl wir nie dicke Freunde waren. Carla steht derartigen Begrüßungsszenen immer etwas zwiespältig gegenüber. Als gebürtige Frankfurterin muss sie sich bemühen, den kantigen Dialekt halbwegs zu verstehen. Zwar liebt sie die alpine Welt, und wir haben zu Hause
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