Baby-Bingo
sich nicht, hält aber die halb offene Tür weiter fest, sodass wir nicht in die Wohnung kommen. Etwas unschlüssig lächeln wir sie an.
»Willst du uns denn nicht reinlassen?«, fragt Martin.
Zum Glück kommt in diesem Moment Anne.
»Wir haben eine harte Türsteherin«, sagt sie und begrüßt uns mit Küsschen. »Legt eure Sachen einfach hier über den Stuhl«, sagt Anne, die etwas gestresst wirkt. »Sophie wollte euch unbedingt noch sehen.« Sie wendet sich Sophie zu: »So, kleine Prinzessin. Jetzt aber ab ins Bett.«
Doch Sophie hat andere Pläne. Sie nimmt meine Hand und zieht mich in Richtung Kinderzimmer. Zimmer? Nein, es ist eine pastellfarbene Kleinmädchenwelt mit einem Barbie-Prin zessinnen-Schloss, einer großen Sammlung von Filly-Pferden und Prinzessin-Lillifee-Bettwäsche. Schon erstaunlich, dass Mädchen auch heute immer noch so deutlich Mädchen sein wollen. Daran hat sich seit meiner Kindheit scheinbar nichts geändert. Ich setze mich auf ein kleines Holzstühlchen und komme mir vor wie Schneewittchen bei den sieben Zwergen.
Dieses Prinzessinnenreich muss sich Martin unbedingt ansehen. Denn er ist es, der sich sehnlichst eine Tochter wünscht. Als wir kürzlich im Fernsehen einen Bericht über einen amerikanischen Arzt sahen, der im Rahmen einer IVF-Behand lung sogar vorab das Geschlecht bestimmen kann, war Martin kurz davor, sofort einen Flug nach L. A. zu buchen. Mädchen oder Junge? Ich habe mir, ehrlich gesagt, noch keine Gedanken darüber gemacht. Hauptsache, es klappt jetzt endlich mal und wir bekommen überhaupt ein Kind.
»Glaub mir, von mir hat Sophie dieses Prinzessinnengen sicher nicht geerbt«, sagt Anne, die nun auch ins Kinderzimmer gekommen ist, und zuckt entschuldigend mit den Schul tern. »Wir wollten aus ihr ein emanzipiertes Mädchen machen, das auch mit Baggern und Autos spielen darf. Aber es besteht noch Hoffnung. Nur die Hälfte des geschlechtsspezifischen Verhaltens soll angeblich angeboren sein. Der Rest ist vom Umfeld abhängig. Wir arbeiten hart daran, Sophie für andere Farben als Pink und Rosa zu begeistern.«
Mit kindlicher Begeisterung zeigt mir Sophie jeden Raum in ihrem Plastikschloss. Ich bewundere Kronleuchter, Glitzerbettdecken und manuell steuerbare Fahrstühle.
»Da sieht man mal wieder, wie man schon als Mädchen geprägt wird. Schlösser, Pferde und Kutschen«, sagt Anne. »Aber statt im Schloss sitzt man dann in der 3-Zimmer- Wohnung.«
»Und hat statt Ken Käpt’n Blaubär zum Mann«, sage ich.
Wir schauen uns an und müssen lachen.
»Erzähl, wie geht’s dir?«, frage ich Anne.
Wir haben uns länger nicht gesehen. Seit es Sophie in ihrem Leben gibt, sind unsere Treffen selten geworden.
»Abgesehen davon, dass Sophie, Jan und ich die letzten Wochen abwechselnd eine Erkältung hatten, die Sophie aus der Kita eingeschleppt hatte, ist alles okay. Ich habe allerdings ziemlich viel Stress im Büro, weil ich sie jeden Tag schon um vier Uhr aus der Kita abholen muss. Da bleibt nicht mehr viel Zeit für anderes. Für Zweisamkeit mit Jan zum Beispiel. Du verstehst, was ich meine.«
Anne schaut mich mit verschwörerischem Blick an, während Sophie auf meinen Schoß klettert und mir ein Plastikpferd mit blonder langer Mähne entgegenstreckt.
»Schau mal, das hat ganz lange Haare. So wie du.«
»Das ist ja toll«, sage ich und bewundere die Glitzerspangen und Strassklammern im Pferdehaar.
Mit ihren kleinen Fingern entfernt Sophie die Haarspangen aus der Mähne und fängt an, sie in meine Haarsträhnen zu klemmen. Ein Gefühl von Wärme erfasst mich. Wahrscheinlich gibt es bei uns Frauen so ein spezielles Mama-Hormon, das automatisch ausgeschüttet wird, sobald uns ein Kind mit seinen großen Augen nur ansieht. Meine Hormone haben jedenfalls gerade einen Megaschub davon bekommen.
»Du hast viel schönere Haare als Mama. Nicht so kurz und langweilig«, sagt Sophie zu mir.
»Na danke«, sagt Anne. »Da ist man die Zofe einer Prinzessin, und dann muss man sich so was anhören.«
Mit gespielter Entrüstung steht Anne von ihrem Miniaturstuhl auf. »So, meine untreue Tochter-Zeit, schlafen zu gehen. Sag Tante Carla Gute Nacht.«
Sophie kuschelt sich noch tiefer in meine Arme und kreischt plötzlich mit weinerlicher Stimme: »Nein! Ich will, will, will nicht ins Bett. Ich möchte Carla noch Chi Chi Love zeigen.«
Ich blicke Anne verständnislos an.
»Chi Chi was? Ist das eine Kampfsportart?«, frage ich.
Anne lacht. »Nein, ganz harmlos. Das ist so ein
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