Baby-Bingo
Augen? In Gedanken sehe ich unser Kind schon vor mir.
»So, Frau Moretti. Jetzt lasse ich Sie mal wieder runter.«
Frau Schmidt, die Sprechstundenhilfe, drückt auf den Hebel am Stuhl und bringt mich wieder in die Waagerechte. Und damit zurück in die Realität.
»Und? Wie war’s?«, fragt Marie am Telefon, kaum dass ich wieder an meinem Schreibtisch im Büro sitze.
»Schon komisch, Sex mit einem Schlauch zu haben«, berichte ich ihr. »Und heute Abend sollen wir eigentlich auch noch einmal miteinander schlafen. Dann könnte ich mir später wenigstens einreden, dass unser Kind in einer leidenschaftlichen Sommernacht in unserem Bett entstanden ist statt am Mittag in einer sterilen Arztpraxis.«
»Du bist eben eine unverbesserliche Romantikerin«, sagt Marie. »Ich möchte nicht wissen, wie viele Kinder aus unserem Bekanntenkreis durch künstliche Befruchtung gezeugt worden sind, und wir wissen es gar nicht. Ist doch letztlich auch egal. Und eine Insemination ist noch halbwegs natürlich. Da wird Martins Spermien nur der richtige Weg gezeigt. Du weißt doch, die Männer kann man nichts alleine machen lassen.«
Ach, meine liebe Freundin. Süß von ihr, dass sie versucht, mich aufzuheitern. Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich Maries Trost in der nächsten Zeit dringend brauchen würde. Denn nicht nur die erste Insemination sollte erfolglos bleiben, sondern auch zwei weitere Versuche in den folgenden Monaten.
Frustrierend, denn die Hoffnung, dass es klappen könnte, war bei jedem dieser Versuche um ein Vielfaches höher als ohne assistierte Befruchtung. Und dementsprechend größer war dann auch die Enttäuschung, wieder nicht schwanger zu sein. Trotzdem versuchten wir es noch zweimal. Schließlich hatte ich gelesen, dass viele Frauen erst beim dritten Mal Erfolg haben.
Doch nach drei Monaten war mir dann auch die Romantik egal. Wir entschieden uns für den nächsten Schritt: eine Insemination mit hormoneller Unterstützung.
»Und dann nehmen Sie den Pen, drücken den desinfizierten Bereich Ihres Bauches mit zwei Fingern zusammen und stechen die gesamte Nadel gerade in die Haut«, erklärt mir der Apotheker. Ich merke, wie schon bei der Vorstellung daran mein Kreislauf nervös aufzuckt. Schon als Kind konnte ich keine Spritzen sehen. Ich war zwölf Jahre alt, als mir eine ungeschickte Sprechstundenhilfe beim Blutabnehmen zweimal in den Arm stach, weil sie meine Vene nicht fand. Beim dritten Mal kippte ich um. Seitdem kann mir nur noch im Liegen Blut abgenommen werden. Und selbst dann wird mir noch schwindelig. Wie um alles in der Welt soll ich mir da selbst eine Hormonspritze in den Bauch jagen? Und das sechs Tage lang hintereinander. Krankenschwestern machen dafür eine lange Ausbildung. Ich soll das selbst tun.
Konzentriert höre ich dem Apotheker zu: »Sie legen die Patrone in den Stift ein, setzen die Nadel auf und stellen die Dosis ein … Keine Angst, Sie schaffen das schon. Das ist im Prinzip ganz leicht.«
Sehr witzig. Wann hat er sich schon mal eine Hormonspritze gesetzt? Er ist schließlich ein Mann.
Ich packe Pen, Nadeln, Alkoholtupfer und Hormonpatronen in meine Handtasche und verlasse die Apotheke mit 500 Euro weniger im Portemonnaie.
Am Abend lese ich Martin aus der Broschüre vor, die mir Frau Doktor Steinberger mitgegeben hat:
»Die Stimulation der Eierstöcke zielt darauf ab, gleich mehrere Eizellen zur Reifung zu bringen. Dadurch erhöht sich die Chance auf eine erfolgreiche Schwangerschaft. Die hormonelle Stimulation beginnt meistens am dritten Zyklustag. Dafür wird jeden Tag zur selben Zeit eine bestimmte Menge Fruchtbarkeitshormone gespritzt. Ist der Follikel groß genug, wird der Eisprung mit einem weiteren Hormon ausgelöst und die Befruchtung erfolgt mithilfe der Insemination.«
»Und jetzt musst du dir wirklich jeden Tag dieses Ding da in den Bauch rammen?«, fragt Martin. Er hält den Pen in der Hand und schaut mich mit ungläubigem Blick an. »Sieht aus wie der Kugelschreiber, den ich letztens auf der Messe von einem Autozubehörzulieferer aus dem Odenwald als Werbegeschenk bekommen habe«, stellt er fest.
»Na super. Du hast wirklich die seltene Gabe, deine Frau während dieser schwierigen Zeit zu motivieren«, sage ich. »Es gibt Männer, die spritzen ihrer Frau eigenhändig jeden Abend die Hormone.«
Martin verzieht das Gesicht. »Du weißt, ich unterstütze dich wirklich, wo ich kann. Aber ich bringe es nicht übers Herz, dir wehzutun. Kann das denn nicht
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