Baby-Bingo
Wider Erwarten hatte meine Mutter diesmal doch recht gehabt mit den 30 Grad. Ich spiele seine Chauffeuse. Und statt dafür dankbar zu sein, motzt er mich auch noch an, weil ich mir pünktlich eine Spritze setzen muss, damit er Vater wird.
Wir suchen uns einen dunklen, möglichst abgelegenen Park platz am Rand der Raststätte. Während Martin aussteigt, hole ich Pen, Nadeln und Tupfer aus meiner Tasche, klappe das Handschuhfach aus und bereite darauf alles wie auf einem OP-Tisch aus. Mittlerweile bin ich schon so geübt, dass jeder Handgriff sitzt. Ich könnte mir auch völlig blind eine Spritze verpassen.
Plötzlich höre ich laute Stimmen und Hundegebell. Schnell ziehe ich die Nadel auf, überprüfe die Dosis am Ende des Pens und setze mir die Spritze.
Helles Licht blendet mich.
»Polizei. Bitte öffnen Sie die Tür!«, sagt draußen jemand und leuchtet mir mit der Taschenlampe ins Gesicht. Erst nach einigen Sekunden, als die Blendung wieder nachlässt, kann ich erkennen, dass es tatsächlich ein Polizist ist.
»Es ist nicht das, wonach es aussieht«, sage ich.
»Wonach sieht es denn aus?«, antwortet der Polizist, der einen großen, nervösen Schäferhund neben sich an der Leine hält.
»Kurz gesagt, wir versuchen ein Kind zu bekommen, und ich muss mir jeden Abend Hormone spritzen. Hier, sehen Sie, mit diesem Stift.«
Ich zeige ihm den Pen, und er schaut mich ebenso verständnislos an wie der Schäferhund.
»Das ist ein Kuli. Sie wollen mir doch nicht erzählen, dass Sie sich mit einem Kuli Hormone spritzen?«
»Doch.«
Ich ziehe die Kappe ab und zeige ihm die Nadel. Dann reiche ich ihm den Pen.
Martin blickt den Polizisten wütend an.
»Das habe ich Ihnen doch schon alles erklärt«, sagt er.
Unschlüssig steht der Polizist mit meinem Pen in der Hand vor uns. Der Schäferhund schnuppert kurz mit seiner Schnauze daran und wendet sich dann desinteressiert ab. Anscheinend ein Zeichen für den Polizisten, uns zu glauben.
»Wissen Sie, hier auf dem Parkplatz treffen sich immer wieder Drogendealer und Junkies. Erst gestern haben wir wieder welche erwischt. Suchen Sie sich das nächste Mal besser ein anderes Plätzchen für Ihre Spritzenaktion.«
Er wendet sich ab und geht.
Es ist nach Mitternacht, als wir in Hamburg ankommen.
»Bin ich froh, dass ihr endlich da seid!«, sagt meine Mutter und umarmt uns sichtlich erleichtert. »Ich hätte schon beinahe bei der Polizei angerufen.«
Martin zwinkert mir zu, und wir können uns kaum ein Lachen vergreifen.
»Tut mir leid, Mami. Es war wahnsinnig viel Verkehr.«
Ich bin todmüde von der Fahrt, meine 62-jährige Mutter dagegen ist topfit. Ein paar Minuten kann ich mich noch wach halten, um mit ihr die wichtigsten Neuigkeiten auszutauschen. Dann falle ich ins Bett und sofort in einen tiefen Schlaf.
»Ihr verschlaft einen Traumtag!« Mit Schwung öffnet meine Mutter den Vorhang, und die Sonnenstrahlen treffen mich mit voller Wucht. Es hat mich schon als Jugendliche geärgert, dass meine Mutter am Morgen ungefragt ins Zimmer kam, um mich zu wecken. Aber sie ließ sich nie davon abhalten. Und tut es bis heute. Ohne auch nur im Geringsten auf ihren Schwiegersohn, den Morgenmuffel neben mir, Rücksicht zu nehmen.
»Raus aus den Federn, wir fahren an die See! Und abends lade ich euch ins Reethus ein.«
Ich weiß, wenn meine Mutter Pläne hat, ist Widerstand zwecklos. Aber in diesem Fall bin ich einverstanden. Das Reethus ist ihr Lieblingslokal, und ich mag es auch sehr gerne.
Nach einem herzhaften Frühstück mit Rührei und Krabben, dem sich Martin wie immer verweigert, fahren wir gegen Mittag Richtung Timmendorfer Strand. Die Straßen sind schon Kilometer vor dem Strand zugeparkt, sodass wir nur weit entfernt eine Abstellmöglichkeit fürs Auto finden.
»Nehmt alle eure Sachen mit«, befiehlt meine Mutter. »Auch was Warmes für den Abend. Wir gehen vom Strand aus direkt ins Reethus. Ich habe keine Lust, zwischendurch nochmals eine Wanderung hierher zu machen.«
Meine Mutter besitzt die einzigartige Gabe, die Zeit zurückzudrehen. Ich fühle mich wieder wie eine Zehnjährige. Warum mutiert man eigentlich in Sekundenschnelle von einem eigenständigen Erwachsenen in ein folgsames Kind im Vorschulalter, wenn man mit seinen Eltern zusammen ist? Ob das ein Leben lang so bleibt? Ich befürchte es.
Wir nehmen unsere Badetasche aus dem Kofferraum, und mein Blick fällt auf die kleine Minikühltasche, die mir der Apotheker geschenkt hat.
»Lagern Sie die Hormone
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