Baby-Bingo
Uhr bereits zum zweiten Mal an diesem Tag Sex mit sich selbst zu haben. Als Jugendliche prahlten wir gern damit, dass wir »immer können«. Und der Klassenrekord stand bei fünf Tagesproduktionen. Zwar wurde das nicht notariell überprüft, aber keiner von uns hielt diese Zahl damals für unglaublich hoch.
Ich hatte zum Glück bisher nie Schwierigkeiten im entscheidenden Moment. Aber die sterile Atmosphäre dieses Raums macht es mir nicht gerade leichter, die gestellte Aufgabe zügig zu erfüllen. Apropos erfüllen und füllen, der luft dicht verschließbare Becher fasst 0,2 Liter. Also so viel wie ein großes Weinglas. Nach all meinen bisherigen Erfahrungen besteht nicht mal annähernd die Gefahr, dass diese Kapazität nicht ausreichen könnte. Was also soll so ein Riesenbecher? Was macht dieses Gigantengefäß denn für einen Sinn? Er kann einen normalen, mitteleuropäischen Mann doch nur entmutigen.
Als ich vor einigen Monaten bei Doktor König die Grundlage für das Spermiogramm fertigte, lagen in dem betreffenden Zimmer Pornohefte bereit. Bereits etwas abgegriffen, aber trotzdem wirksam. Hätte ich Frau Schmidt vor den anderen Arzthelferinnen auch noch fragen sollen: »Hätten Sie nicht vielleicht ein Pornoheft für mich?« Dafür ist meine Schamgrenze dann doch zu hoch. Ich kenne keinen Mann, der sich nie Pornos ansieht oder sich auf entsprechenden Internetseiten tummelt. Aber ich kenne bisher keinen Mann, der das an einem stinknormalen Dienstag um 9.45 Uhr tut.
Zudem stellt sich mir grundsätzlich die Frage: Ist es eigentlich moralisch okay, bei dieser Aufgabe nicht ausschließlich an Carla zu denken? Schließlich soll es doch ein Kind unserer Liebe werden. Darf ich also Scarlett Johansson in meine anregenden Fantasien mit einbauen? Oder die Frau mit den per fekten Brüsten, die bei uns im Fitnessstudio trainiert und danach gerne auch noch in die Gemeinschaftssauna geht? Oder die Dänin, mit der ich damals in Kopenhagen …
Alle weiteren Fragen erübrigen sich. Okay, das Duell gegen den leeren Becher ist wieder gewonnen. Ich schraube den Deckel auf das Schicksalsgefäß. Mein Part ist erledigt, nun liegt der Ball bei Carla, der ich am Telefon bereits meine unglückliche Aktion gebeichtet habe. Zu meiner Überraschung war sie aber gar nicht groß sauer auf mich oder kaschierte das zumindest gut.
»Was soll’s, das ist eben Schicksal«, sagte sie.
Auch um mein Missgeschick vergessen zu machen, hoffe ich diesmal ganz besonders intensiv, dass es das Schicksal gut mit uns beiden meint.
Carla
Die Spritze
»Das Ejakulat Ihres Mannes zeigt trotz der unglücklichen Umstände noch eine hohe Beweglichkeit. Die Voraussetzungen sind also nicht schlecht.«
Frau Doktor Steinberger hatte mir, bevor ich mich auf den Behandlungsstuhl legte, Mut gemacht. Nun drückt sie vor mei nen Augen Martins Sperma über eine Spritze in einen dünnen Schlauch, den sie langsam in meinen Unterleib einführt. Oh Gott, ich kann nur hoffen, es sind auch wirklich Martins Spermien, die da gerade in meinen Körper strömen. Ich meine, man hat schon die merkwürdigsten Geschichten gehört. Woher weiß ich eigentlich, dass sie nicht aus Versehen den falschen Becher gegriffen hat? Panik macht sich in mir breit.
Als könnte Frau Doktor Steinberger meine Gedanken lesen, sagt sie: »Wir haben hier sehr strenge Sicherheitsmaßnahmen, die garantieren, dass die Samen nicht vertauscht werden. Vor der Insemination werden nochmals alle Daten und Beschriftungen ausführlich verglichen, sodass keine Verwechslungen entstehen können.«
Beruhigt beobachte ich sie dabei, wie sie den Schlauch langsam wieder aus mir herauszieht.
»Das war’s schon. Jetzt bleiben Sie bitte noch eine Viertelstunde so liegen, dann können Sie sich wieder anziehen. Und haben Sie heute Abend gerne noch einmal Geschlechtsverkehr mit Ihrem Mann. Das kann auf keinen Fall schaden.«
Ich muss grinsen. Drei Einsätze an einem Tag. Ich weiß nicht, ob ich das Martin in seinem Alter noch zumuten soll. Frau Doktor Steinberger lächelt mir aufmunternd zu und lässt mich allein. Das ging ja wirklich schnell. Und hat zum Glück gar nicht wehgetan. Während ich wie ein gestrandeter Käfer mit den Beinen in der Luft, in leichter Schräglage auf dem Arztstuhl liege, male ich mir aus, wie schön es wäre, wenn es endlich einmal klappen würde.
Wie unser Kind wohl sein würde? So temperamentvoll wie Martin oder eher ausgeglichen wie ich? Hätte es seine dunklen Haare und meine grünen
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