Baby-Bingo
tieferen Sinn, wenn man kein Kind bekommt, obwohl man sich das sehr wünscht?«, frage ich ihn.
»Einen Sinn? Das weiß ich nicht. Aber ich hab auf jeden Fall gelernt, man kann im Leben nichts erzwingen«, sagt er. »Wenn man das akzeptiert, macht es vieles einfacher. Und ich kenne Leute, die sind auch ohne Kinder durchaus glücklich. Glücklicher als so manche Eltern.«
Mein Vater ist ja wirklich ungewöhnlich gesprächig heute.
»Aber ich täte mich schon narrisch freuen, wenn ich doch noch Großvater werde.« Er lacht und klopft mir auf die Schulter. »Das hast du jetzt davon, dass du deinen alten Vater begleitest. Jetzt gibt er dir noch kluge Tipps. Aber du weißt, jeder muss das tun, was er selbst für richtig hält.« Er greift in seinen Rucksack und zieht eine kleine Flasche hervor. »Aber bevor wir wieder runtersteigen, trinken wir noch ein Schnapserl«, sagt er. »Selber gebrannt, vom Höllriegl Toni.«
Die philosophische Lehrstunde ist also vorbei. Aber ich denke, während sich der starke Schnaps meine Speiseröhre abwärts brennt und ich auf die umliegenden Gipfel blicke, die von der untergehenden Sonne langsam in ein mildes Rot getaucht werden, noch länger an seine Worte. Man kann auch ohne Kinder glücklich werden? Gerade von ihm hätte ich diese Aussage nicht erwartet.
»Der Tisch ist schon gedeckt«, sagt Carla, als ich am nächsten Abend von Südtirol zurück nach München komme, »du kannst dich gleich setzen. Ich hab uns zur Feier des Tages Kürbissuppe gemacht, die magst du doch so gerne.«
Carla küsst mich temperamentvoll, irgendwie ist sie besonders gut drauf heute. Was ist los mit ihr? Vielleicht sollte ich öfter mal wegfahren, das tut ihr gut.
Dabei hat die Sache mit dem Tischdecken und Essenmachen bei uns eine lange und nicht ganz unproblematische Geschichte. Denn ich kann und mag nicht kochen. Ich bin zu ungeduldig dafür. Wenn ich essen will, dann möglichst schnell. Ich möchte nicht noch zwei Stunden lang rumbrutzeln müssen.
Einen festlich gedeckten Tisch mit Kerzen und Musik im Hintergrund finde ich zwar grundsätzlich schön. Aber im Gegensatz zu Carla nicht jeden Tag unbedingt lebensnotwendig. Wenn ich am Abend gelegentlich alleine esse, dann lege ich die Wurst samt der Tüte auf den Tisch, ebenso das Brot und bediene mich direkt daraus. Immerhin verwende ich einen Teller, aber der steht auf der Zeitung, die ich dabei lese. Männliches Multitasking.
Würde ich allein leben, dann wäre mein Speiseplan:
Montag: Fertigpizza.
Dienstag: Dosenravioli.
Mittwoch: Miracoli aus der Packung.
Donnerstag: Knorr Fix Asia Curry Pfanne.
Freitag: Fertigpizza.
Samstag: Essen gehen.
Sonntag: Fischstäbchen mit Pfanni-Kartoffelpüree.
In diesem Spektrum bewegen sich meine Kochkünste.
Regelmäßig bekommt Carla eine Krise, weil sie merkt, dass sie unsere Chefköchin ist. Was ihr ja auch Spaß macht. Aber auch Chefkellnerin und Chefspülerin, was ihr wohl weniger Spaß macht. Auf jeden Fall beschimpft sie mich dann als fau len, halb italienischen Macho und geht in den Hausfrauenstreik.
»Morgen kochst du mal«, nötigt sie mich dann.
Aber auch wenn ich mir richtig Mühe gebe und so fantasievolle Kreationen zaubere wie in der Pfanne gebratene Tiefkühltintenfischringe mit Uncle Ben’s Reis, abgeschmeckt mit Thymian und dem Olivenöl mit Orangenaroma, ein Mitbringsel von Freunden, das seit ein paar Jahren von Carla ignoriert bei uns in der Küche steht, kann ich sie nicht überzeugen.
Am nächsten Tag kocht wieder sie.
Arme Carla, es ist eben ein Fluch, wenn man etwas sehr viel besser kann als die anderen.
Carla hat also völlig freiwillig ein gutes Essen zubereitet und den Tisch romantisch gedeckt. Was für ein schöner Empfang. »Zur Feier des Tages«, hat sie gesagt. Was gibt es zu feiern, sie wird doch nicht etwa …? Wahnsinn, sie wird doch nicht schwanger sein?
Ich setze mich gespannt an meinen Platz. Und sehe sie . Auf dem großen Teller vor mir: eine Tablettenhälfte, die mir sehr bekannt vorkommt! Eine halbe Viagra-Tablette.
»Die Vorspeise kannst du schon mal allein zu dir nehmen«, sagt Carla mit Blick darauf.
Ich bin eine halbe Minute lang wirklich sprachlos. Das darf nicht sein. Wie peinlich! Sie hat mein Versteck entdeckt. Ich komme mir vor wie ein kleiner Junge, den seine Mama beim Lügen ertappt hat. Am liebsten würde ich im Boden versinken.
»Stöberst du seit Neuestem in meinen Sachen?«, sage ich schließlich. Gemäß dem Motto: Angriff ist die beste
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