Baby-Bingo
Startschuss für mehr Sinnlichkeit und mehr Leichtigkeit ist gefallen – auch dank Stefans Geschenk –, wir sind wieder viel aktiver, unabhängig von Temperaturkurven und Eisprungkalendern. Und auch der Humor macht nicht mehr vor der Schlafzimmerschwelle Halt.
»Wirklich ein einzigartiges Panorama«, sagt mein Vater.
Wir sitzen auf dem Gipfel des Hausbergs meiner Heimatstadt. Einmal im Jahr steige ich mit meinem Vater hier herauf auf über 2000 Meter. Früher war immer mein drei Jahre jüngerer Bruder Andreas mit dabei. Doch seit er nach Köln zog, hat er sich aus dieser Tradition ausgeklinkt, die wir seit der Kinderzeit pflegen.
Wie immer hat mein Vater, der für sein Alter erstaunlich fit ist, seinen großen Rucksack mit hochgeschleppt. Aus dem holt er nun eine karierte Picknickdecke, die sicher schon älter ist als ich. Er breitet sie auf dem Gras aus, legt in der Mitte ein Geschirrtuch darauf und packt eine deftige Brotzeit aus: ei nen halben Laib Bauernbrot, geräucherten Schinken, eine Kaminwurzn, Sennkäse, Speck, zwei hart gekochte Eier. Und natürlich hat er auch unser geliebtes Südtiroler BergnerBräu Weißbier mit nach oben transportiert. Wir wissen beide, dass ein Bier mit jedem Höhenmeter noch besser schmeckt.
»Haben wir gut ausgesucht, wirklich ein herrlicher Tag«, sagt mein Vater sichtlich glücklich.
Man kann mit meinem Vater Situationen genießen, ohne viel zu sagen. Das schätze ich sehr an ihm.
Die späte Nachmittagssonne ist selbst jetzt im Frühherbst noch so kräftig, dass wir im Hemd hier oben sitzen können. Die anderen Wanderer sind bereits alle wieder abgestiegen, wir haben den Gipfel ganz für uns. Auch das hat Tradition, dass wir die Tour entgegen den alpinen Gepflogenheiten so angehen, dass wir hier oben allein sind und später beim Abstieg das Tal gerade noch im letzten Licht erreichen.
»Und«, sagt er, »werd ich jetzt eigentlich noch Großvater?«
Seine Frage kommt völlig überraschend für mich. Bisher haben weder er noch meine Mutter das Thema jemals direkt angesprochen.
»Da musst du den Andreas fragen«, weiche ich aus.
»Ach, dein Bruder«, sagt mein Vater, »da kann ich ewig war ten. Das erleb ich nimmermehr. Die Frau, die der Andreas möchte, die muss erst gebacken werden.«
Wir schauen zu, wie die frechen Dohlen bis auf wenige Zentimeter zu uns heranhüpfen, um Brotkrümel zu stibitzen.
»Aber du hast ja eine Frau. Die Carla, die geht nun auch schon auf die vierzig zu, nicht wahr?«
Er ist aber auch beharrlich heute! Wenn er sich mal in ein Thema verbissen hat, dann lässt er nicht mehr locker.
»Ja, nächstes Jahr ist’s so weit, da wird sie vierzig«, sage ich.
»Und?«, sagt mein Vater.
»Und was?«
»Klappt es denn nicht bei euch mit dem Nachwuchs?«
Mein Vater spricht die Dinge gerne direkt an.
»Bis jetzt leider nicht«, sage ich.
»Aber versuchen tut ihr es schon?«
»Klar. Carla möchte unbedingt noch Kinder. Na ja, zumindest eines.«
»Und du auch?«
»Schon.«
Mein Vater holt ein Monstrum von Fernglas aus seinem Rucksack. Das allein wiegt wohl schon drei Kilo. Er beobachtet damit ein Rudel Gämsen auf einem Plateau unter uns.
»Die Natur hat ihre eigenen Gesetze, die lässt sich nicht reinreden, die setzt uns Grenzen. Das müssen wir respektieren.«
Eine ungewöhnlich lange Aussage meines Vaters. Zuerst denke ich, sie bezieht sich irgendwie auf die Gämsen. Erst nach ein paar Sekunden wir mir klar, dass er damit unseren Kinderwunsch meint.
In diesem Moment weiß ich, dass Carla und ich ihm besser nicht erzählen, was wir alles unternehmen, um der Natur kräftig auf die Sprünge zu helfen: Zyklusmonitoring, Hormone, Insemination. Nein, mein Vater würde es wohl nicht gut finden, dass wir ein bisschen am Rad des Schicksals drehen. Auch wenn er mir andererseits schon von Kindesbeinen an eingebläut hat, dass jedermann seines Glückes Schmied sei. Wie ich ihn kenne, würde er uns auf keinen Fall moralisch dafür verurteilen, dass wir wirklich alles Mögliche und zum Teil auch das Unmögliche tun, um doch noch späte Eltern zu werden. Sich über andere zu stellen, das entspricht nicht dem Charakter meines Vaters. Auch wenn er selbst ganz klare moralische Prinzipien hat und die auch konsequent lebt.
Ich glaube, letztlich hält sich mein Vater an die Philosophie von Franz Beckenbauer, den er gerne mag. Der soll mal gesagt haben: »Sehen Sie, der Herrgott freut sich über jeden neuen Erdenbürger.«
»Du glaubst also, es hat einen
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