Babylon in Hongkong
Lampe. Der breite Schirm streute das Licht und warf es auf die blanken Holzstufen.
»Ich gehe vor, John.«
»Bitte.«
Es war nicht zu erkennen, ob die Treppe auf einem Absatz mündete. Die Stufen bewegten sich unter unserem Gewicht und gaben knarrende Laute ab. Einmal drehte sich Suzie um. Am Zucken ihrer Mundwinkel erkannte ich, daß sie mir zulächelte. »Es ist ein wenig unheimlich hier, aber man kann sich daran gewöhnen«, flüsterte sie.
»Bestimmt.«
Am Ende der Treppe wuchs eine dunkle Tür hoch, die nach irgendwelchen Gewürzen roch. Jedenfalls gab das Holz diesen Geruch ab. Es war still und kaum vorstellbar, daß nicht allzu weit entfernt Massen von Touristen durch die Straßen strömten. Doch hier hielt mich eine andere Welt gefangen, Hongkongs zweites Gesicht. Die Tür besaß keine Klinke, dafür einen Knauf, den Suzie umfaßte. Lautlos konnte sie das dunkle Rechteck nach innen drücken, und wenig später wunderte ich mich über die Größe des Flures, der sich vor mir auftat. Suzie sah es und gab eine Erklärung ab.
»Oft genug sind die Häuser zur Straßenseite hin nur mehr schmale Fassaden. Das wahre Gesicht erscheint an der Rückseite, das ist typisch für unsere Mentalität.« Wieder glitt ein sphinxhaftes Lächeln über ihre Lippen, das sehr schnell erlosch, denn beide hatten wir einen dumpfen Laut vernommen, als wäre ein schwerer Gegenstand zu Boden gefallen. Suzie ging einen Schritt zurück, bis sie in den Bereich einer schmalen Tischleuchte geriet. Ihre Lippen zitterten plötzlich. Sic sah aus, als wäre sie von einer schlimmen Ahnung überfallen worden.
»Was kann das gewesen sein?« fragte ich mit kaum hörbarer Stimme.
»In seinen Räumen.«
»Cheng Wang?«
Sie nickte.
»Ist er allein?«
Scharf atmete sie durch die Nase ein. »Er war es jedenfalls, als ich ihn verließ.«
»Kann es sein, daß er Besuch bekommen hat?«
»Weiß nicht.«
»Gibt es einen zweiten Eingang? Bestimmt — oder?«
»Ja — natürlich. Man kann vom Hof…«
»Wo hält sich Cheng Wang zumeist auf?«
Sie drehte sich nach rechts, nicht weit, streckte den Arm aus und wies auf eine dunkle Tür, die größte des Flurs. »Da hat er sein Büro, dort arbeitet er auch.«
»Gut. Sie bleiben hier.«
»Wieso? Ich…«
Als sie vorging, umfaßte ich ihre Schulter und zog sie zurück. »Nein, Suzie.«
»Glauben Sie denn…«
»Was ich glaube, spielt keine Rolle. Nur soviel: Der Mandarin und seine weißen Masken können überall sein.« Ich holte bei den letzten Worten die Beretta hervor.
Suzie versteifte. Ihr Gesicht glich einem geschnitzten Stück Holz. Es paßte ihr nicht, aber sie fügte sich und ließ mich allein auf die Tür zugehen. Normalerweise bin ich ein höflicher Mensch und klopfe an. Das sparte ich mir hier. Ich legte meine Hand auf den kühlen Knauf und drehte ihn vorsichtig herum.
Die Tür war offen.
Mit der selben Hand drückte ich sie nach innen. Schweiß perlte auf meiner Stirn. Die Warnung hatte mich urplötzlich erreicht und war wie ein Strahl. Aus dem Zimmer wehte mir ein staubiger, etwas muffiger Geruch entgegen. Die Dunkelheit lag über dem Raum, kroch in Ecken und Winkel hinein, als wollte sie das Grauen verbergen. Ich sah die Schatten der Regale, einen Schreibtisch, auch zwei niedrige Sitzkissen, dazwischen eine Bastmatte oder einen Teppich, und darauf lag die Gestalt.
Verkrümmt, die Arme etwas angezogen, beide Hände gegen den Magen gepreßt. Kein Atem wehte mir entgegen, dennoch wollte ich mich davon überzeugen, ob der Mann noch lebte.
Links von ihm unterbrachen zwei schmale Fenster das Mauerwerk. Sie wirkten wie Gucklöcher und ließen nur mehr einen schmalen Lichtschein durch, der vom Hinterhof hereinfiel.
Als ich mit schußbereiter Beretta den ersten Schritt vorging, raschelte hinter mir Stoff. Suzie war da. »Bleiben Sie zurück!« wisperte ich scharf.
»Was ist mit Cheng?«
»Ich weiß es noch nicht.«
Sie drängte sich trotzdem vor, schaute an mir vorbei und sah das gleiche wie ich.
Kein Schrei drang über ihre Lippen. Diese junge Frau hatte sich ausgezeichnet in der Gewalt. Diesmal gehorchte sie und lehnte sich gegen den Türrahmen.
Wo steckten diejenigen, die die Tat zu verantworten hatten? Erst als ich tiefer in den Raum hineingegangen war, fiel mir auf, daß die Fenster nicht geschlossen waren. Man hatte sie hochgeschoben und festgeklemmt. Ein idealer Fluchtweg. Mein Magen krampfte sich zusammen. Mein Herz pochte schneller, ich wollte zu den Fenstern, trat aber
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