Babylon in Hongkong
sah so aus, als wollte sie sich die Perlenkette zerreißen. »Nein, nein«, flüsterte sie, »nicht Feng, bitte nicht…« Fengs Tod ging ihr nahe. Zuckend bewegten sich die Lippen, als würde sie etwas kauen. Auch zuckte sie mit den Wimpern, drehte sich zur Seite, wischte über die Augen und holte tief Luft.
»Sie haben ihn gemocht?«
»Nicht nur das, auch geliebt. Wir waren Freunde, Liebende, er studierte Mathematik, wir halfen hier gemeinsam aus, aber jetzt…« Sie hob die Schultern.
»Der Mandarin ist eben zu mächtig«, sagte ich. »Sein verlängerter Arm reichte bis nach London, aber er hat sein Ziel nicht erreicht. Suko und ich sind trotzdem hierhergeflogen.«
»Das wollte Cheng Wang auch.«
»Oh, dann hat er es inszeniert?«
Suzie nickte heftig. »Ja, er wußte von Ihnen und Suko. Er war der Meinung, daß nur Sie beide es schaffen können, die Macht des Mandarins zu brechen. Nur Sie beide.«
Ich schüttelte den Kopf. »Das verstehe, wer will, ich nicht. Wieso kann er das sagen?«
»Ich habe keine Ahnung. Er hat mich nicht in alle Geheimnisse eingeweiht, was ich auch gut finde. Manchmal ist es besser, wenn man nicht alles erfährt. Er hat sich allerdings besonders auf Suko verlassen. Ihr Freund war für ihn wichtig.«
»Hing es vielleicht mit Sukos Vater zusammen?«
»Das kann ich Ihnen nicht sagen. Sie sind allein gekommen. Wo befindet sich Ihr Fartner?«
»Das, meine liebe Suzie, hätte ich auch gern gewußt.« Ich erzählte ihr, was ich erlebt hatte, und sah, wie ihr Mund einen zornigen, fast haßerfüllten Zug bekam.
»Ja, so machen sie es. Sie sind überall, sie werden ihn entführt haben.«
»Ich will ihn herausholen!«
Suzie starrte mich an, als hätte ich von ihr etwas Schlimmes verlangt.
»Sie wollen tatsächlich…?«
»Ja, ihn holen.«
»Das schaffen Sie nicht. Nein, das ist unmöglich. Wen die weißen Masken einmal haben, den lassen sie lebend nicht frei. Glauben Sie das nur nicht; John.«
»Da wäre ich mir nicht so sicher. Ich frage mich nämlich, aus welch einem Grund man meinen Freund entführt hat. Wie ich die Bande bisher eingeschätzt habe, ist sie daran interessiert, möglichst viele Menschen umzubringen, die in ihre Nähe kommen und ihnen eventuell gefährlich werden könnten. Sie hätten Suko leicht töten können, sie haben es nicht getan. Ich frage mich nach dem Warum.«
»Das weiß ich auch nicht. Ich kenne diese Bande nicht so genau, und auch ihre Ziele sind mir unbekannt.«
»Wahrscheinlich wollen sie etwas von Suko«, sagte ich. »Sie brauchen ihn. Vielleicht hängt es mit seinem Vater zusammen. Ich kenne mich nicht aus, aber ich bin fest entschlossen, es herauszufinden.«
»Sic würden allein stehen, John.«
»Auch das ist mir klar.«
»Stellen Sie sich das nicht so einfach vor. Nicht in einer Stadt wie Hongkong, die selbst vielen Chinesen noch fremd ist. Nein john, es ist unmöglich.«
»Zum Feil gebe ich Ihnen recht, Suzie, aber ich möchte Sie darauf hinweisen, daß ich nicht grundlos hier erschienen bin. Cheng Wang ist nicht nur eine Spur, ich gehe davon aus, daß mir der Freund Ihres Vaters sehr wohl helfen kann.«
»Möglich.«
»Nehmen Sie es bitte nicht persönlich, aber wäre es möglich, daß wir unsere Unterhaltung später fortsetzen und Sie mich zu Cheng Wang führen? Oder ist er nicht hier?«
»In seiner Wohnung.«
Ich deutete mit dem Zeigefinger gegen die Decke. »Dort?«
»Ja.«
»Wie wird er reagieren?«
»Er hat Sie erwartet, und er wird über Fengs Tod sicherlich entsetzt sein. Aber damit haben wir rechnen müssen, so schlimm es sich anhört. Kommen Sie, John, ich gehe vor.«
Sie drehte sich um und tauchte in die Düsternis des Vorhangs ein, dessen Falten sich schlangengleich bewegten, als Suzie ihn aufzog und fürmich eine Lücke schuf.
Ich blieb dicht hinter ihr und rechnete damit, in ein Büro zu gelangen. Ein Irrtum. Die Deckenleuchte erhellte einen Lagerraum, in dem ich noch zahlreiche Knochen sah, die numeriert worden waren. Der Geruch von Leim drang in meine Nase.
In einer Ecke standen kunstvolle Knochengebilde, und die die Knochen verbindenden Hauptsehnen waren durch Nylonschnüre gekennzeichnet. Ein ungewöhnliches Lager, das ein anderer bestimmt mit einer Gänsehaut verlassen hätte, im Gegensatz zu Suzie und mir, die eine schmale Tür geöffnet hatte und sie mir offenhielt. Eine Wohnung befand sich nicht dahinter, dafür ein sehr schmaler Flur, der am Fuß einer steilen Treppe endete. Vor der ersten Stufe stand eine
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