Babylon in Hongkong
auch die Freuden des Himmels — sprich Opium — an, oder wollte mir die besten Anzüge der Welt auf den Leib schneidern.
»Pure silk, Sir, reine Seide…«
»Schon gut.«
Ich schlenderte weiter. Hellwach, aufmerksam, fast immer auf dem Sprung stehend.
Grell geschminkte Mädchen verkauften in schmalen, schlauchähnlichen Geschäften die Billigwaren der Unterhaltungsindustrie. Von der Filmkamera, den Taschenrechnern bis hin zu Kassetten, Recordern und TV-Apparaten war alles zu haben. Mich interessierten die Angebote nicht die Bohne, ich suchte einzig und allein den Laden von Cheng Wang.
Es dauerte seine Zeit, wenn man fast hundert Yards in einer prallgefüllten Gasse wie dieser zurücklegen will. Dabei behielt ich die linke Seite besonders im Auge und wunderte mich plötzlich, daß die Menschenströme weniger wurden.
Der Grund war klar.
Eis gab weniger Geschäfte. Läden, die nicht mehr den Kram verkauften, sondern andere Dinge.
Vögel, Gewürze, Haustiere, Heuschrecken, frisch aus China importiert, und noch eine größere Garküche, die nach vorn hin offen war und wo mehrere Köche lächelnd mit ihren Woks hantierten. Die Gefäße standen auf Gaskochern, wurden von langen Flammenzungen knatternd umweht, während Huhn, Fisch oder Fleisch in das siedende Fett glitten. Der köstliche Rauch trieb auch mir das Wasser im Mund zusammen, und das einladende Lächeln der Köche trug dazu bei, daß ich fast umfiel. Dann dachte ich an Suko, an meinen Job und ging weiter. Auf der linken Seite, der großen Garküche schräg gegenüber und beinahe in der Dunkelheit versteckt, fand ich den Laden.
Über der schmalen Eingangstür brannte eine einsame Lampe. Ihr Schein fiel gegen chinesische Schriftzeichen, die ich nicht entziffern konnte.
Die Tür sah verschlossen aus, sie war sehr schmal, kaum breiter als das Schaufenster, hinter dessen Scheibe die gelblichen Knochen eines Skeletts sich deutlich vom samtschwarzen Hintergrund der Bespannung abhoben.
Hatte Cheng Wang geschlossen? Ich hoffte es nicht, probierte die Klinke, mußte mich etwas gegen die Tür stemmen und hörte über mir ein leises Glockenspiel.
Ich warf einen Blick nach oben. Im genau richtigen Winkel hingen durch kleine Glocken verzierte Knochen, die von der Türkante angestoßen und zum Klingen gebracht wurden.
Sanft schloß ich die Für hinter mir.
Der Laden war alt, dunkel und ein einziges Durcheinander. Als Fremder kam ich mir in dieser Enge verloren vor, denn erst im Hintergrund des Ladens brannte Licht.
Der Schein mußte von Öllampen abgegeben werden. Nach meinem Geschmack strahlte das schwache Licht etwas Beruhigendes aus. Ich ging die ersten Schritte und hörte es unter meinen Sohlen knirschen. Es lag an den zahlreichen Kräutern, mit denen der Boden bedeckt war. Sie strömten einen sehr frischen Geruch aus, der mich irgendwie wieder mobil machte.
Regale engten den schlauchartigen Weg noch mehr ein. In den Fächern standen Medizinflaschen der unterschiedlichsten Größen und der verschiedensten Inhalte. Auf einer schmalen Theke leuchteten in einem hellen Weiß dicke Mullbinden-Pakete.
Ein Teil der Wand, sogar etwas zurückgebaut, bestand aus zahlreichen Holzschubladen. Es waren bestimmt über hundert tiefe Schubfächer wie in einer alten Apotheke oder Eisen warenhandlung. Jede Schublade enthielt eine andere Mischung von Kräutern, deren Aroma durch die Ritzen drang und sich zu einer Duftnote vermischte, wie ich sie zuvor noch nie kennengelernt hatte.
Die Schubladen waren in englischer und chinesischer Sprache beschriftet. Aus Interesse und Faszination begann ich zu lesen. Exotische Mittelchen wie Pilze, Seepferdchen, Hirschschwänze, Affenhaar, Seegras, Tang und sogar Teesorten.
Langsam ging ich weiter. Wahrscheinlich war ich der einzige Kunde oder Patient in Cheng Wangs Laden. Der Chinese ließ sich nicht blicken. Aber er mußte da sein. Wahrscheinlich versteckte ersieh irgendwo in der liefe des schlauchartigen Raumes und wartete in aller Ruhe ab, was ich wohl unternehmen würde.
Zunächst erreichte ich einen relativ großen, uralten Holzschreibtisch, versehen mit zahlreichen Fächern und Schubladen. Von einem Draht über dem Schreibtisch baumelten, an zahlreichen Wäscheklammern hängend, eine Anzahl großformatiger Röntgenbilder. Sie zeigten schwierige Fälle von Knochenbrüchen, die Cheng Wang behandelt hatte, das konnte selbst ich als Laie erkennen. Auf einem Informationsblatt las ich, daß der Mensch genau 206 Knochen besitzt und Cheng
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