Babylon in Hongkong
nahm.
»Was ist es?«
»Ein Brief«, flüsterte sie.
»An wen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nicht an mich, sondern an Suko und auch an Sie, John.«
»Oh.« Ich nahm den Brief entgegen. Die Nachricht steckte in einem hellen Umschlag aus Büttenpapier, den ich aufriß. Ich holte die zwei Seiten lange Nachricht hervor.
In der Stille hörte sich das Knistern sehr laut an, als ich den Brief auseinanderfaltete. Suzie kam zu mir, sie wollte mitlesen, was bei dieser Helligkeit gut möglich war.
»Der ist lang«, sagte sie, »und sehr eng geschrieben.«
Da hatte sie recht. Ich mußte mir große Mühe geben, die einzelnen Worte zu entziffern.
Ich las leise, obwohl sich meine Lippen bewegten, und ich war, das mußte ich zugeben, fasziniert von dem Geschriebenen. Cheng Wang hatte eine Botschaft hinterlassen, die einen gewissen Sprengstoff beinhaltete. Vieles sah ich plötzlich klarer, und ein Großteil der Lösung stand vor meinem geistigen Auge.
Auch Suzie dachte wie ich. Nur schüttelte sie ab und zu den Kopf. Sie war völlig perplex, holte zwischendurch Luft und sagte immer wieder:
»Das kann doch nicht wahr sein, das ist ja…«
»Interessant, nicht?«
»Und wie!« hauchte sie.
Ich faltete den Brief zusammen, zündete mir eine Zigarette an und trank noch ein Glas von diesem Kräutergebräu. Dabei ließ ich mich in einen Sessel fallen.
»Geschockt?« fragte Suzie.
»Nicht direkt, aber diese Zusammenhänge hätte ich eigentlich ahnen können.«
»Ich auch.«
Den Inhalt des Briefes möchte ich hier nicht wiedergeben, sondern eine Zusammenfassung. Cheng Wang und der geheimnisvolle Mandarin hatte tatsächlich eng zusammengearbeitet, denn der Mandarin konnte nur durch Chengs Hilfe existieren. Dieser Mann hatte es geschafft, den Mandarin zusammenzuflicken. Er war irgendwo gestürzt, man hatte ihn halbtot und mit gebrochenen Knochen aus der Schlucht geholt und zu Cheng Wang geschafft, durch dessen Kunst der Mandarin so weit genesen war, daß er sich wieder bewegen und auch laufen konnte.
Später allerdings, als Cheng Wang mehr über die Pläne des Mandarins erfuhr und auch dessen Taten sah, hatte er sich Vorwürfe gemacht. Tage und Wochen voller Qualen waren vergangen, er hatte überlegt geforscht und war schließlich zu dem Entschluß gekommen, daß er die Macht und den Einfluß dieser Person stoppen mußte. Er selbst besaß nicht die Kraft, überhaupt würde er in Hongkong niemanden finden, der eine derartige Aufgabe übernahm, und so war er auf die Idee gekommen, Suko und mich nach Hongkong zu holen, weil er über uns bereits einiges gehört hatte. Auf irgendeine Art und Weise hatten die weißen Masken Wind von dem Plan bekommen, waren ebenfalls nach London gereist — vielmehr einer von ihnen — und hatten zugeschlagen. Die Visitenkarte in der lasche des toten Feng hatte uns letztendlich auf die richtige Spur gebracht.
Ich ließ den Brief sinken und hörte den geflüsterten Protest der jungen Frau.
»Haben Sie auch alles gelesen?«
»Sicher.«
»Und den letzten Teil?« Suzie fragte es mit zitternder Stimme. »Er ist doch wichtig.«
Ich nickte. Wie recht sie hatte, denn Cheng Wang wußte mehr. Ihm war bekannt, wo sich der Mandarin aufhielt. Sein Hauptquartier besaß keinen festen Standort, weil er sich eine Dschunke ausgesucht hatte, auf der er ständig über das Meer kreiste. Eine alte Dschunke, die den Namen
›Stern von Hongkong‹ trug.
»Kennen Sie das Schiff?« fragte ich Suzie.
»Nein.«
»Wir müssen es finden.«
Ihr Nicken zeigte Entschlossenheit. »Das werden wir auch, John, keine Sorge.« Sie ging zum Telefon, überlegte einen Moment und rief jemand an. Was sie mit dem Mann redete, konnte ich nicht verstehen, denn sie sprach den hier üblichen Kanton-Dialekt. Ich beobachtete nur ihr Gesicht und las darauf die Zufriedenheit ab.
»Positiv?«
Suzie lächelte. »Und wie ich habe einen Studienkollegen angerufen, der Dschunkenforschung betreibt. So etwas gibt es auch bei uns, und er wußte Bescheid.«
Ich bekam große Augen. »Fleißt das, wir wissen, wo sich die Dschunke befindet?«
»Zumindest, wo sie kreuzt. Und ich kenne in der Nähe eine Bucht, die ziemlich versteckt liegt. Sie ist eigentlich ein idealer Platz. Auch meinem Kollegen war die Bucht bekannt. Vor langer Zeit galt sie als Paradies für Opiumschmuggler, jetzt eignet sie sich als ein ideales Versteck. Nur, was machen wir mit ihm?«
Ich schaute auf den Bewußtlösen. »Den Mann überlassen wir der Polizei. Superintendent
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