Babylons letzter Wächter (German Edition)
dass der Immobiliensektor derart einbrechen könnte? Voller Übelkeit dachte er daran, dass es sich um ihm anvertraute Kunden- und Firmengelder handelte. Er spielte auf dem schmalen Grad einer Messerklinge. Wenn die Kurse bis zum Nachmittag noch weiter in den Keller rutschten, war seine Bank erledigt. Er würde in Babylon nie wieder Fuß fassen. Nein, er musste seine letzten Reserven angreifen. Rot oder Schwarz. Die Kugel geriet ins Rollen…
„ Miss Bradshore, sagen sie bitte alle meine Termine für heute ab. Wenn Harrison anrufen sollte, wimmeln sie ihn ab. Sagen sie ihm, ich hätte ein wichtiges Meeting mit einem neuen Kunden.“
„ Ist gut, Mister Miles.“
Es glich einer Flucht. Auf seine Sekretärin konnte er sich verlassen, die stand voll und ganz hinter ihm. Ein gutes Mädchen. In Nathans Aktenkoffer befanden sich sechzigtausend Dollar in bar. Wenn er im Flash Chance ein günstiges Händchen hätte, könnte er das Geschäftskonto wieder ausgleichen. Keiner würde etwas merken. Er würde sich heute Abend still zurücklehnen. Der Held der Stunde, ohne dass jemand etwas ahnte.
*
Nathan legte sich eine Strategie zurecht. Es blieb ihm nicht viel Zeit. Der einarmige Bandit würde ihn nur aufhalten. Besondere Gelegenheiten wie diese erforderten besondere Maßnahmen. Voller Ehrfurcht steuerte er auf den Roulettetisch zu. Bisher hatte er dieses Glücksrad eher gemieden. So wie ein Kokser sich vom Crack fernhielt. Eine Droge, die stärker war als der gewöhnliche kleine Kick. Nathan konnte die paar Male, die er am Roulettetisch gesessen hatte, an einer Hand abzählen. Er war bereit. Die leichten Scheine hatten sich in der Wechselstube in schwere Jetons verwandelt. Sein Koffer zog ungleich stärker an seinem Handgelenk. Nur Geduld, nachher würden es wieder Scheine sein, mehr sogar als vorher. Wenn er das Zehnfache rausholte, war er aus dem Schneider. Die restlichen fehlenden Dollar konnte er geschickt verschleiern. Wozu war er der beste Finanzhai an der Upside?
„ Meine Damen und Herren, ihre Einsätze bitte.“
Nathan ließ sich nicht lange bitten und setzte mehrere schwarze Jetons. Schwarz waren die Hunderter. Weiß, pink und rot überließ er den Feierabendzockern. Mit Kleingeld gab er sich nicht ab. Wäre er privat hier gewesen, sähe es vielleicht anders aus. Er setzte vorerst auf Zahlenreihen. Da war die Gewinnquote zwar nicht so hoch, aber dafür erschien es ihm am sichersten. Wenn man hohe Summen setzte, ging die Rechnung auf.
*
Ungeduld machte sich breit. Die Zeiger seiner Armbanduhr rannten um die Wette. Der Stapel schwarzer Scheiben hatte die gleiche Farbe wie Nathans Stimmung. Mir knurrendem Magen dachte er an seine Kollegen, die wie jeden Mittwoch im Southern Steak House speisten. Bei Tisch würde das eine oder andere Wort über ihn fallen. Die hatten leicht reden. Sie kannten nicht die Bürde, die einem auf den Schultern lasten konnte. Für solch triviale Dinge wie Essen hatte Nathan keine Zeit. Er zog seine Jetons vom Zahlenfeld zurück. Rot oder schwarz. Nur mit der fifty-fifty Chance konnte er sein Ziel erreichen. Er verließ sich auf simple Wahrscheinlichkeit und spielte abwechselnd die beiden Farben an. Nathan fand wieder Selbstvertrauen. Mit den Zahlenreihen waren aus den sechzigtausend hundertzehntausend geworden. Das unmögliche schien wahr zu werden. Sein Handy hörte nicht auf zu vibrieren. Zum Glück hatte er es auf stumm geschaltet. Was im Büro vor sich ging, interessierte ihn nicht. Das Big Business wurde an diesem Tisch gemacht. Seine Augen hingen wie hypnotisiert am Rad des Schicksals. Nur mit Mühe konnte er mit seinen rasenden Gedanken Schritt halten. Er war in den Fängen einer Droge, die stärker als er war. Wie ferngesteuert türmte er alle seine Chips zu kleinen Türmen auf. Die Skyline der Stadt. Und mittendrin der höchste Turm, das Babylon Imperial Building. Vorsichtig zog der Croupier das Häusermeer über den grünen Filz, um es nicht zum Einsturz zu bringen. Einmal noch auf rot. Bei einer Quote von eins zu sieben. Während das Rad in Bewegung geriet, knabberte Nathan nervös an seinen Fingernägeln, die bis auf die nackte Haut abgefressen waren. Wie alle Menschen, die unter erheblichem Stress standen, litt Nathan unter Zwangshandlungen. Was ihm Entspannung verschaffte, war für Außenstehende schwer nachvollziehbar. Nathan akzeptierte seine kleinen Ticks. Immerhin gab es Menschen, die sich die Arme ritzten. Da war er vergleichsweise normal. In
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