Baccara Exklusiv Band 04
reizen.
Endlich hörte sie ihn und fuhr herum. Sie riss verblüfft die Augen auf, bis er zu dem aufgebrachten Strauß hinüberzeigte. Sie verstand sofort, ließ die Kohlblätter fallen und schoss wie der Blitz davon.
Fast im gleichen Moment kamen sie am Zaun an. Den Bruchteil einer Sekunde befürchtete er, dass sie nicht mehr rechtzeitig hinüberkäme, aber sie erkletterte den zwei Meter hohen Zaun mit der Behändigkeit einer Katze und war sogar noch vor ihm auf der anderen Seite. Dennoch verfehlte der Strauß sie nur um wenige Zentimeter.
Sie standen mehrere Augenblicke schwer atmend da, dann wandte sie sich zu ihm. "Danke. Ich glaube, du hast mir gerade das Leben gerettet."
"Kein Problem", wehrte er ab. "Aber was zum Teufel ist mit dem Vogel los? Du hast mir doch erzählt, dass die Hähne sich normalerweise nur zur Brutzeit so aggressiv verhalten …"
"Moment mal." Schnell zählte sie die Köpfe der Herde. "Aha, eine der Hennen fehlt, und ich wette mit dir, es ist sein Weibchen."
Er ließ seinen Blick über die Weide schweifen. "Vielleicht versteckt es sich da drüben", sagte er und deutete auf einen Busch zwischen Zaun und Unterstand.
Karen nickte, und sie eilten zu der Stelle, um nachzuschauen. Und tatsächlich, sie fanden die flüchtige Henne. Sie hockte auf einem Nest dicht am Zaun.
"Ich will verdammt sein", zischte Karen leise. "Die Henne ist erst zwei Jahre alt. Sie ist viel zu jung zum Brüten."
"Sie ist da anscheinend anderer Meinung."
Offensichtlich fühlte die Henne sich von ihnen gestört. Denn sie sprang unruhig auf und eilte flügelschlagend davon … und ließ vier Eier im Nest zurück.
Er lachte. "Ich schätze, dieses Paar hier hat beschlossen, dem System ein Schnippchen zu schlagen und seine Babys selbst großzuziehen."
Karen lachte nicht. Sie starrte wie in Trance auf die Eier.
"Wollen wir sie nicht herausholen?" schlug er vor. "Ich könnte ein Loch in den Zaun schneiden und …"
"Lass sie da liegen!"
"Wie bitte?"
"Wir wissen beide, dass die Henne nicht mehr dazu kommen wird, diese Küken auszubrüten. Die Bulldozer werden hier sein, bevor es so weit ist. Gönnen wir sie ihr noch ein paar Tage. Wir können mit den Eiern nichts mehr anfangen, aber für die Henne bedeuten sie eine ganze Menge."
Da liegen viertausend Dollar im Nest! hätte er beinahe gerufen. Aber er hielt sich noch rechtzeitig zurück. Hier ging es nicht um Geld. Auf irgendeine verrückte Weise identifizierte Karen sich mit diesen beiden eigensinnigen Straußen. Sie würden niemals erleben, wie ihre Küken ausschlüpften, und sie würde niemals erleben, wie ihr Traum Wirklichkeit wurde. Das glaubte sie jedenfalls.
Er wollte sie beschwören, nicht aufzugeben, und ihr sagen, dass er einen Plan hatte. Aber dieser Plan könnte leicht misslingen. Er durfte Karen nicht noch einmal Hoffnung machen und sie dann wieder zerstören. Nein, das konnte er ihr nicht antun.
Sie schluchzte leise auf.
"Ach, Karen, bitte wein doch nicht."
Sie wirbelte herum. "Was soll ich denn sonst tun?" rief sie trotzig. "Tut mir Leid, aber ich kann nicht so damit umgehen wie du, so nüchtern und ohne jedes Gefühl, als wäre es nur irgendeine geschäftliche Angelegenheit."
"So empfinde ich das ganz und gar nicht. Karen …" Er berührte sie an der Schulter, aber sie wich ihm hastig aus.
"Lass das. Ich brauche deinen Trost nicht." Sie drehte sich um und rannte davon.
Verdammt, er konnte jetzt nicht wegfliegen, nicht, wenn Karen in einem solchen Zustand war. Langsam, um ihr Zeit zu geben, sich wieder zu fassen, folgte er ihr. Aber danach musste er sich mit ihr auseinander setzen. Er musste sie davon überzeugen, dass die Ranch ihm wirklich am Herzen lag. Die Ranch, ihre Träume und sie selbst, Karen.
Karen widerstand der Versuchung, in ihr Schlafzimmer zu laufen, die Tür hinter sich abzuschließen und sich aufs Bett zu werfen, um sich ihren Kummer von der Seele zu weinen. Stattdessen zwang sie sich, in die Scheune zu gehen und nach den Küken zu sehen. Wenn sie sich mit Arbeit ablenkte, mit den täglichen Pflichten, die ihre Tage in den letzten drei Jahren ausgefüllt hatten, würde sie sich vielleicht einreden können, alles sei normal. Zumindest, bis Mike gegangen war.
Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war, doch auf einmal hörte sie seine leisen Schritte. Himmel noch mal, warum konnte er sie nicht in Ruhe lassen?
"Warum trägst du diese verdammten Tennisschuhe?" fuhr sie ihn an. "In Stiefeln könntest du dich wenigstens nicht
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