BACCARA EXKLUSIV, BAND 64
von ihrem entfernt. Sie konnte jede einzelne Bartstoppel, jede kleine Falte, jede kleinste Narbe erkennen.
Unwillkürlich musste sie daran denken, dass er umgekehrt ja auch in ihrem Gesicht alle Unvollkommenheiten sehen konnte. Sie hatte eigentlich nicht viele, aber im Moment doch mehr als genug. Wenn sie nur einen Funken Verstand gehabt hätte, hätte sie sofort die Flucht ergriffen, sobald er zu ihr in den Schlafsack gekrochen war.
Abwartend starrte sie auf die winzige sternförmige Narbe unter seinem linken Auge. Er sagte kein Wort. Nur einer seiner Kiefermuskeln zuckte kurz. Dann schloss er seufzend die Augen.
Verzweifelt suchte sie nach etwas überwältigend Geistreichem, das sie sagen könnte, damit er sie witzig und charmant fand und vergaß, wie übel sie aussah.
„Fast türkis, nicht?“ Sie konnte dieses Schweigen einfach nicht ertragen. Es machte sie nervös, und wenn sie ohnehin nervös war, machte sie das noch nervöser.
Lyon öffnete die Augen wieder. Sein Ausdruck war gleichermaßen verwirrt und misstrauisch.
„Das Blau Ihrer Augen, meine ich. Es ist so ungewöhnlich. Ich kenne ein paar Frauen, die Kontaktlinsen in dieser Farbe haben. Aber als natürliche Farbe habe ich es noch nie gesehen.“
Überwältigend geistreich? Wie wäre es mit hoffnungslos blöde?
Ihre Knie berührten sich. Seine waren rau und behaart. Es war ihr noch nie bewusst geworden, wie sexy Körperbehaarung an einem Mann sein konnte. Eric hatte das bisschen, was er hatte, immer wegrasiert. Genau wie der einzige andere Mann in ihrem Leben. Sie hätten fast einmal zusammen geschlafen, aber er hatte allergisch auf ihr Parfüm reagiert.
„Lyon, sind Sie allergisch gegen …“
Weiter kam sie nicht. Seine fast türkisfarbenen Augen kamen immer näher, bis sie ihr vor den Augen verschwammen und es nichts mehr gab, was sie tun konnte. Außer die Augen zu schließen und sich küssen zu lassen.
Dieser Kuss hatte alles, was ein Kuss bieten sollte: Leidenschaft, Erregung, Zärtlichkeit. Lyon küsste sie, als hätte er alle Zeit der Welt und sonst kein anderes Ziel. Wie von selbst legte sie den freien Arm um seine Taille und strich ihm über den Rücken. Sie spürte seine Zunge, nicht fordernd und ungeduldig, sondern zärtlich, lockend, verführerisch. Ganz so, als wäre sein einziges Anliegen, mit der Zunge ihren Mund zu streicheln.
Doch das heftige Pochen seines Herzens sprach eine andere Sprache.
Zögernd löste sie ihre Lippen von seinen und barg das Gesicht an seinem Hals. Sie spürte die heftig pulsierende Ader dort und staunte, was für eine starke Wirkung die Nähe eines anderen auf einen Menschen haben konnte. Das musste etwas zu bedeuten haben. Auch ihr Herz schlug so heftig, dass sie davon ganz atemlos wurde.
Sie fühlte sich zittrig. Aber auch mutig. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie versucht, die Führung zu übernehmen. Ein beflügelndes Gefühl ergriff sie, ein Gefühl von Macht. Sie stellte sich vor, wie sie ihn, vorsichtig, damit er keine Schmerzen bekam, auf den Rücken drehte, um sich dann rittlings auf ihn zu setzen und sich langsam und behutsam …
Von wegen langsam und behutsam. Nein, schnell und heftig!
Himmel, Clancy!, sagte sich Jasmine. Bist du von allen guten Geistern verlassen?
Das Geräusch ihrer hektischen Atemzüge brachte sie einigermaßen wieder zu sich. Sie öffnete die Augen, streckte suchend die Hand hinter den Kopf, fand den Reißverschluss des Schlafsacks und zerrte daran, kämpfte darum, sich aus diesem Kokon aus Armen, Beinen und wasserdichtem, daunengefülltem Nylon zu befreien.
Lyon tat nichts, um sie aufzuhalten, sagte kein Wort. Schon wieder herrschte Schweigen.
„Es hat aufgehört zu regnen“, sagte sie hilflos. „Ich muss … Wir sollten … Es ist Zeit, zu …“
„Es tut mir leid.“
Sie war auf allen vieren und sah über die Schulter zu ihm zurück. Was tat ihm leid? Dass sie sich fast geliebt hätten? Oder dass sie es nicht getan hatten?
„Mir auch. Ich meine, ich hoffe, Sie haben sich nicht wieder den ganzen Rücken verspannt.“
Er benutzte drei Worte, um ihr zu sagen, was er von seinem Rücken hielt.
„Lachen Sie nicht.“ Seine Stimme klang wie ein Reibeisen.
Sie lachte ja gar nicht, sie war vielmehr hysterisch. Und das verbarg sie hinter einfältigem Gelächter.
Und dann, o Wunder, lachte auch er. „Ich schätze, Ihnen fällt gleich eine passende Filmszene ein.“
Sie setzte krabbelnd ihren Weg aus dem Zelt fort. Nicht gerade sehr anmutig. Gab es da
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