back to past - zurueck zu dir
Als die Bombe geplatzt war, als seine Eltern und das Ehepaar von Gegenüber sich die Köpfe heißredeten, sich in Beschimpfungen über das asoziale Pack ein paar Häuser weiter ergingen, wuchs in Gabriel der Widerstand. Nie zuvor wäre es ihm eingefallen, sich den Wünschen seiner Eltern zu widersetzen, aber mit Christian war es anders. Die Faszination, die der auf ihn ausübte, wog schwerer, als das Risiko erwischt zu werden.
Er bereute es nicht, hatte es keine Sekunde bereut. Auch nicht, als alles herauskam, als er fortgezerrt wurde. Als seine Eltern sich entschieden, ihm ihr Vertrauen zu entziehen, das er mit seinen Lügen und Ausflüchten enttäuscht hatte. Und als seine Eltern nicht viel später den Versuch aufgaben, in einer Kleinstadt-Idylle sesshaft zu werden, sich stattdessen für die Rückkehr in ihr karriereorientiertes Leben entschieden. Da war ohnehin bereits alles vorbei, was er in seiner jugendlichen Schwärmerei für Freundschaft gehalten hatte, was von Christians Seite aus nicht mehr als Mitleid gewesen sein konnte. Wenigstens akzeptierte er diese einfachste Erklärung. Womöglich war Christian aufgefallen, dass Gabriel keine Freunde fand, dass er vom ersten Tag an als Außenseiter abgestempelt worden war. Zu groß, zu schlaksig, zu ungeschickt, um auch nur einen Ball zu fangen. Mit Gliedern, die schneller wuchsen, als dass er ihrer Herr werden konnte.
Auch wenn Christian peinlich genau darauf achtete, dass sie niemand zusammen sah, war er doch der Einzige, der Gabriel zuhörte, der seinen Geschichten lauschte, als ob sie ihn tatsächlich interessierten, während er mit halb geschlossenen Augen an seiner Zigarette sog oder eine Tüte Chips mit ihm teilte.
Viel sprach er nie, und doch vermittelte er Gabriel das Gefühl, nicht allein zu sein. Er rettete ihn vor der Einsamkeit und Gabriels Selbstbewusstsein erhielt einen ausreichenden Schub. Wenn ein cooler Junge wie Christian sich mit ihm abgab, dann konnte er nicht ganz so verkorkst sein, wie es ihm manchmal vorkam.
Auf seine Fragen, das manchmal penetrante Nachhaken, reagierte Christian stets mit Grinsen und Schulterzucken, ließ gelegentlich eine Bemerkung über seine Geschwister fallen, und dass er sich damit auskannte, Jüngere mitzuziehen.
Gabriel glaubte ihm gerne, sah er doch Christians Schwestern, die sich vom Kopf bis zu ihren Füßen geradezu verstörend glichen, von Zeit zu Zeit in der Klasse unter seiner. Sie fielen nicht auf, bereiteten keine Umstände, besuchten im Gegensatz zu ihrem Bruder regelmäßig die Schule und wurden versetzt.
In einem Moment, in dem Gabriel von Weitsicht erfasst wurde, fragte er sich, ob nicht ein Teil von Christian seine Schwestern und auch ihn selbst darum beneidete, mit dem Strom zu schwimmen, ohne dagegen ankämpfen zu müssen.
Doch hatte ein Junge seines Alters zu viel mit sich selbst zu tun, um derartigen Analysen längere Zeit Aufmerksamkeit zu schenken. Da war der Druck, der von der Schule ausging, von seinen Eltern, deren ständigen Predigten über eine vage, unsichere Zukunft. Da gab es Mädchen und all die unbeantworteten Fragen, die mit ihnen einhergingen. Und da gab es Christian, von dem Gabriel nicht wusste, ob er ihn bewunderte, ob er ihn anbetete, oder ob er mehr in dessen Augen sehen wollte, als tatsächlich hinter ihnen schlummerte.
Ohnehin war es lächerlich. Christians Ruf erlaubte wenig Zweifel, weder über seine verächtliche Haltung jeder Autorität gegenüber noch über seine Sexualität. Die Mädchen, Frauen, mit denen er sich sehen ließ, sprachen ihre eigene Sprache, vermittelten exakt, was Christian vermitteln wollte, ließen Jungen wie Gabriel stillschweigend und betreten zurück.
Erst als Gabriel seine Ausbildung absolvierte, als es ihm immer noch nicht gelungen war, Christian aus seinen Gedanken zu vertreiben, erlaubte er sich die Frage, was der andere wohl unter seiner Maske aus Arroganz und Hochmut gefühlt haben mochte. Auch erlaubte er sich, seine unerschütterliche Bewunderung zu hinterfragen, darüber nachzudenken, was es Christian gekostet hatte, die Fassade aufrecht zu erhalten.
Er hatte oft darüber nachgedacht, was aus Christian geworden war, wie dessen Leben nun aussah. Ohne einen Schulabschluss, ohne Perspektive und mit der Drohung einer Jugendstrafe, die, solange Gabriel ihn kannte, über dessen Kopf schwebte. Immer brachen die Gedanken an diesem Punkt ab. Letztlich war Christian es gewesen, der ihm den Tritt verpasst hatte, der ihm, nicht mit körperlicher
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