back to past - zurueck zu dir
herauskam, sah Gabriel nicht auf, umspielte kein Lächeln seine Lippen.
„Es tut mir leid“, sagte er nur. „Ich hätte dir nicht auf die Nerven gehen sollen. Das war nicht fair.“
Gabriel sagte noch mehr, doch die Worte vermischten sich in Christians Erinnerung. Was blieb, war nur die Auffassung des Jungen, die in diesem Moment, zu dieser Zeit unverständliche Überzeugung, dass er die Schuld für ihren letzten Streit trug. Der nicht einmal ein Streit gewesen war, sondern eine Ansammlung von Vorwürfen, die Christian ihm zugemutet hatte. Mit voller Absicht, wenn nicht Bosheit.
Er sagte nichts, brachte kein Wort heraus. Auch nicht als Gabriels kalte Hand seine ergriff und zum Abschied kurz drückte. Oder als Gabriel endgültig aus seinem Leben verschwand und Christian mit der Hoffnung zurückließ, ihn niemals wiederzusehen. Nur, dass Christian dies nicht wirklich hoffte.
Von da an liefen die Dinge schlecht. Zu den Prüfungen wurde er nicht zugelassen, eine Gefängnisstrafe schwebte über seinem Kopf und die hartnäckige Infektion, die er sich bei seinem letzten ungeschützten Verkehr geholt hatte, breitete sich aus.
Was letzten Endes eine Variation von Rettung darstellte, erzählte er doch im Delirium und noch bevor man ihn in der Notaufnahme identifiziert hatte, mehr, als er im wachen Zustand jemals von sich gegeben hätte.
Als er wieder zu sich kam, befanden sich seine Schwestern unter Aufsicht des Jugendamtes und seine Eltern unternahmen einen ihrer hilflosen Versuche, sich zusammenzureißen.
Und es tauchte jemand auf, der mit ihm sprach. Nicht nur das, der, ohne dass Christian die Sprache darauf brachte, anmerkte, dass seinen Schwestern nichts mehr zustoßen konnte.
Auch wenn Christian nicht viel davon glaubte, was der Mann erzählte, so hörte er doch zu, vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit.
Wirklich leichter wurde es nicht. Doch eines Tages begriff Christian, dass es jemanden gab, an den er sich wenden konnte. Er begriff, dass er Einfluss besaß, dass es tatsächlich im Bereich seiner Möglichkeiten lag, sein Leben und das seiner Schwestern zu verbessern. Er begriff, dass es nicht zu spät für ihn war. Zum ersten Mal in seinem Leben behielt er einen Job. Und zum ersten Mal in seinem Leben arbeitete er zielsicher auf seinen Abschluss hin.
Doch ertappte er sich immer wieder dabei, Gabriels Bild aus seinem Gedächtnis zu vertreiben. Dessen Worte, Blicke oder den letzten Augenblick, den Abschied, dem der andere nicht aus dem Weg gegangen war.
Reue kroch ungefragt wieder und wieder an die Oberfläche. Er entwarf Hunderte, wenn nicht Tausende von Möglichkeiten, wie er sich anders hätte verhalten können, von Anfang an anders handeln. Müßig, sinnlos und er wusste genau, dass ihn nichts davon weiterbrachte, und doch holten ihn die Gedanken immer wieder ein, die unlösbaren Fragen, die er sich immer wieder stellte.
Womit Gabriel beschäftigt war, wie es ihm ging, ob er Freunde gefunden hatte, eine Freundin? Doch er verschloss die Fragen sorgfältig in seinem Inneren, ordnete sie als ein verbotenes Geheimnis ein, von dem niemand erfahren durfte, der ihn nicht für verzweifelt oder krank halten sollte.
Nur er allein wusste, dass Gabriels Bild ihn weiterhin still begleitete. Immer wieder sah er den Blick, der auf ihn gerichtet blieb. Der ihm bedeutete, dass er mehr war als der Versager, für den ihn alle hielten. Und für den er selbst sich hielt. Auch wenn er die Wirkung, die dieser Blick auf ihn ausübte, leugnete, trug er ihn doch wie einen Schatz in sich.
Er vergaß nie die Fantasien, die Gabriel in leuchtenden Farben ausgemalt hatte, während er stumm neben ihm gesessen hatte. Selbst wenn er damals nicht reagiert, lediglich den Kopf geschüttelt hatte. Aber zugehört hatte er dennoch.
Gabriel sprach von Reisen und von Möglichkeiten, sah sich selbst als Bildhauer und Christian als Mechatroniker, beschrieb dessen Werkstatt, als sähe er sie vor sich, malte aus, wie Christian ihm half, die ersten Runden im eigenen Auto zu drehen, während er ihm im Gegenzug eine preisverdächtige Skulptur in den Garten stellte.
Erst in den folgenden Jahren begriff er, was Gabriel in ihm gesehen hatte. Die Bilder verschärften sich in seiner Erinnerung, wurden klarer, vermittelten ihm, dass er alles werden könne, alles tun, was ihm einfiel. Und manchmal begann er, selbst daran zu glauben.
Seine Schwestern waren längst zu einer entfernten Tante gezogen, um dort weiterführende Schulen zu besuchen, und
Weitere Kostenlose Bücher