back to past - zurueck zu dir
er nun aufhören konnte, seine eigenen Hände und Blicke gewissenhaft zu überwachen. Ob er Gabriel genug Freiraum gewährt hatte, dass der die unsichtbare Barriere sinken ließ, von der Christian ahnte, dass sie lediglich in seiner Einbildung existierte. Um keinen Preis wollte er Gabriel bedrängen oder auch nur den Eindruck erwecken, als hielte er sich nicht an die Voraussetzungen, die er selbst während ihrer ersten Begegnung vor Wochen geschaffen hatte.
Nicht selten ertappte er sich dabei, die Ereignisse dieses Abends infrage zu stellen. Doch kam er nie weiter als bis zu dem Moment, in dem die Erinnerung einen Rausch nach sich zog. Unmöglich auf sie zu verzichten, auf die Erregung, die ihn mit dem Wissen erfüllte, wie sich Gabriels Hände auf seiner Haut anfühlten. Und dennoch nagte der Zweifel an ihm. Er fragte sich, ob es nicht besser gewesen wäre, Gabriel und sich Zeit zu lassen und vielleicht – so absurd es erschien – die unwahrscheinliche Chance auf eine Beziehung zu erhalten. Das unerwartete Wiedersehen hatte ihn mit einer Intensität überrollt, die ihm neu war. Doch war er wirklich überrascht? Immerhin hatte Gabriel eine entscheidende Rolle in seinem Leben gespielt, hatte, ohne sich dessen bewusst zu sein, Einfluss genommen.
Als die Gefühle an diesem Abend über ihm zusammengeschlagen waren, hatte nichts gezählt mit Ausnahme des Augenblicks.
Sein Verstand bestätigte ihm, dass es dumm, geradezu fahrlässig gewesen wäre, wenn er Gabriel in diesem Moment fortgeschickt, eine Ausrede gesucht, oder auch nur seine Sehnsucht für sich behalten hätte. Selbst, wenn Gabriel nie erfahren durfte, wie hell die Sehnsucht über Jahre hinweg in ihm gebrannt hatte.
Auch wenn er lange, viel zu lange gebraucht hatte, um sie als das zu erkennen, was sie ihm zu vermitteln suchte. Andererseits erwies er sich in so gut wie jedem der Bereiche, die ihn selbst betrafen, als phänomenaler Spätzünder. Was wichtig war, hatte er nie zu der Zeit begriffen, in der es darauf angekommen war. Ob es um sein Zuhause ging, die Schule oder seine Zukunft spielte dabei keine Rolle. Solange er nicht daran dachte, existierte nichts davon wirklich. Solange er sich raushielt, konnte ihn nichts treffen. Nicht das Urteil oder Schläge seines Vaters, nicht die Tränen der Mutter, wenn sie über sein Versagen weinte. Dass er die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich und seine Fehlschläge lenkte, und somit seine Schwestern entlastete, wenn nicht gar beschützte, glaubte er auch später nicht, nachdem es ihm auf den Kopf zugesagt worden war. Erst mit dem gewachsenen Abstand, mit seiner Ausbildung, den Vorträgen, die er besuchte, öffnete sich sein Horizont, erkannte er zunehmend Grund und Wirkung seines Verhaltens.
Doch zu der Zeit war er bereits viel weiter, zu der Zeit hatte er einen Weg gefunden, mit sich ins Reine zu kommen. Hatte auch einen Weg gefunden, sich die rüde Art zu verzeihen, mit der er Gabriel aus seinem Leben gestrichen hatte.
Damals hatte kein anderer Weg existiert. Wie er es auch drehte und wendete, wie verwirrt er auch war – dass er den Jungen mit hineinzog, stand außer Frage.
So wenig ihm in seiner Vergangenheit, seiner Jugend Begriffe wie Moral, Anstand oder Gesetz bedeutet hatten, so leichtfertig er mit Drogen und Frauen umzugehen gewohnt war, hier zog er die Grenze.
Und Gabriel, der unbeholfene, naive Junge bestätigte, dass er verstand, dass er akzeptierte, dass er ihm sein Verhalten nicht einmal übel nahm. Und es war das Beste für alle Beteiligten. Die Worte, die ihm Gabriels Eltern an den Kopf geworfen hatten, sie hatten von einem auf den anderen Tag Sinn ergeben. Der schlechte Einfluss, von dem sprachen, er konnte ihn letztendlich nicht mehr leugnen. Nicht mehr, nachdem ihm neben Trinken, Lügen, Stehlen und Rauchen ganz andere Versuchungen durch den Kopf gingen.
Das erste Mal geschah es, nachdem er sich mit einem Mädchen eine halbe Flasche Wodka geteilt hatte. Er begleitete sie nach Hause, nachdem sie beide kein Interesse mehr für anderes als den Alkohol aufbrachten. Dennoch war er nicht müde gewesen, hatte sich einen Platz im Park gesucht. Nahe genug am Jahrmarkt, um das Feuerwerk beobachten zu können, ohne selbst bemerkt zu werden, und ohne dass sich jemand daran störte, dass er sich eine Zigarette nach der anderen anzündete.
Wenn ihn Gabriels Auftauchen überrascht hatte, so konnte er sich nicht mehr daran erinnern. Dessen Gewohnheit, sich aus dem Haus zu schleichen und ihn aufzusuchen,
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