Backstage
niemand konnte in die Fenster der Wohnung sehen, die alle, bis auf die Badluke, in diese eine Richtung zeigten.
Er war es nicht gewohnt, an einem Platz zu hocken, tigerte durch die Bude, langweilte sich; die vorhandenen DVDs kannte er schon auswendig.
Das Fernsehgerät eignete sich nur zur Wiedergabe für die Filme, die TV-Programme konnte er nicht aktivieren, ein Wirrwarr an Kabeln und Fernbedienungen, auch für die Musikanlage, er kannte sich mit so was nicht aus, hatte immer jemand, der ihm so etwas abnahm, alles, das längst repariert, erledigt sein sollte; nichts lief so, wie er es sich gedacht hatte.
Er stellte sich ans Fenster, schob die Gardine zur Seite, lugte auf die Straße.
Eine Seitenstraße, Autos, kleine Geschäfte, wenige Fußgänger. Die Wohnung nachts bezogen, von der Umgebung wenig gesehen, er wusste nur, dass er in der Nähe des Charlottenburger Schlosses untergebracht war.
Bei geöffnetem Fenster hörte er heute das Rauschen einer viel befahrenen Straße, vermutlich eine Autobahn.
Die Tropfen gingen zur Neige.
Er hatte es gestern genossen, draußen, unterwegs zu sein. Anfangs.
Aber nach der Scheiße mit dem Hund flüchtete er zurück in diese Wohnung, schloss die Tür hinter sich.
Es war zum Kotzen dort, dieses Versteckenmüssen in einem Holzhäuschen, auf einem Kinderspielplatz, bis sich das Theater auf der Straße beruhigt hatte, die Leute wieder in ihren Häusern verschwunden waren und er das Auto holen konnte. Das Auto abgegeben. Ein Taxiwechsel und, erleichtert, zurück in der Wohnung.
Die Tropfen gingen zur Neige.
Paulas Büroeinrichtung bestand, stilistisch gesehen, aus Einzelstücken, sachliches Bauhaus und schwungvolle Jugendstil-Ornamentik: Lampen, Schreibsekretär, Stühle, Bücherregale, verbunden durch handgeknüpfte indische Teppiche, Kostbarkeiten aus dem geerbten Haus, Zeugnisse der familiären Vergangenheit Paulas, die sie behalten, aber ins Büro gebracht hatte.
Paula schloss die Bürotür, nutzte die Minuten bis siebzehn Uhr für einen Anruf bei Ehlers. Sie bot ihm, sozusagen als Friedenspfeife, den Zeitungsartikel über den Unfall von 1977.
«Wie soll ich das den Kollegen verkaufen? Ich bin nicht unmittelbar an dem Fall dran.»
«Wenn so ein Star wie Braun darin verwickelt ist, redet doch die gesamte Mord darüber. Wie sagt ihr sonst? Informationen von einer Quelle, die anonym bleiben will. Ihr habt doch bisher niemand in der engen Wahl?»
Widerstrebend gab Ehlers zu, dass, trotz des großen Personalaufgebots, das in den ersten vierundzwanzig Stunden Zeugen und Beteiligte, auch parallel, mit Hochdruck befragt hatte, noch keine heiße Spur gefunden worden war; Zweitvernehmungen lagen an.
«Das Opfer ist schnell gestorben, der zweite Stich war tödlich, er hat aus den Schnittverletzungen geblutet.»
«Ich wüsste gern, was die Polizeiermittlungen über den Unfall damals, 1977, ergeben haben. Vielleicht besteht da ein Zusammenhang zu heute.»
«Ich werd sehen, was sich machen lässt. Ihr seid unter Beschuss, was? Das Hauptstadt-Magazin hat gestern Abend über eine gewisse Frauendetektei berichtet, du weißt schon, Frauenkompetenz und so weiter. Pass auf, dass ihr den Kollegen nicht in die Quere kommt.»
«Danke für den Rat. Es ist eine schwierige Situation. Sag mal, bist du wegen der Fernsehsendung gestern vorbeigekommen? Ja? Ich werde es wieder gutmachen, wenn das hier vorbei ist.»
«Paula, warte mal. Jemand, und das muss ein bedeutender Jemand sein, hat verhindert, dass Mageninhalt und Leber von Panitz genauer untersucht werden konnten, das Zeug ist spurlos aus der Gerichtsmedizin verschwunden.»
Paula stieß einen ihrer berühmten Oktav-Pfiffe aus, glücklicherweise nicht in den Hörer.
«Warum erzählst du mir das?»
«Es gefällt mir, dass du nicht barmst. Mach's gut, Große.»
Ehlers befand sich auf dünnem Eis, nicht nur, weil er Interna weitergab, auch der Adressat war brisant. Private Ermittler waren unbeliebt, bei manchen Polizisten regelrecht verhasst. Paula nahm sich ein leeres Blatt Papier vor und begann, Notizen zu machen. Dann las sie noch einmal die Sexbeschreibungen, ein Drehbuch für Prostituierte, für ein gehobenes Studio mit besonderem Service, womöglich von Braun oder Panitz in Auftrag gegeben, in Amsterdam sprach man auch Deutsch.
Tamara steckte, nach leisem Klopfen, den Kopf in das Zimmer. «Siebzehn Uhr fünfzehn. Sollen wir ohne Melissa anfangen?»
«Was?»
«Du liest wohl was Spannendes?»
Paula reichte ihr den Zettel.
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