Backstage
weinte, lautlos. Kramte ein Papier aus der Handtasche, mit Schreibmaschine beschrieben, schob es Paula über den Tisch zu und verschwand auf die Toilette.
Meine Güte, dachte Paula, nicht richtig bumst. Und das hat sie ihm geglaubt? Paula nahm den Zettel, las.
Auf den ersten Blick glich das Geschriebene einem Drehbuchauszug. Dekor, Dialog, Besetzung. Zwei Frauen, zwei Männer. Die Kleidung schwarz und weiß, genau beschrieben bis zur Art der Höschen. Der Dialog spärlich. Zwei Männer beobachten, wie die in Schwarz gekleidete Frau die andere bereitmacht: sie auszieht, einölt, sie übers Knie legt, um den Po mit leichten Schlägen zu röten und die Brustwarzen mit den Lippen zu eregieren. In wechselnden Stellungen sollte diese Frau von beiden Männern genommen werden.
Handyklingel, Tamaras Stimme.
«Monika Panitz ist heute Morgen aus dem Hotel abgereist.»
«Was?»
Paula, die mechanisch zum Handy gegriffen hatte, rieb sich die Stirn. Ein greller Szenenwechsel.
«Zweitens, die Zeitungsgeschichte. Im Winter 1977 ist ein fünfzehnjähriges Mädchen angefahren worden. Der Fahrer beging Fahrerflucht. Das Mädchen verblutete am Unfallort, eine selten befahrene Forststraße, in der Nähe des Heimatdorfes von Panitz und Braun. Man vermutete, dass Braun mit der Minderjährigen befreundet war. Er hatte aber für diesen Abend ein Alibi, von Fred Panitz. Wie gesagt, das Mädchen verblutete, der Täter wurde nicht gefunden. Ich hab mit dem Lokalredakteur, der damals den Artikel schrieb, telefoniert. Bei der Autopsie stellte sich heraus, dass das Mädchen schwanger war. Kurz darauf zogen Panitz und Braun nach Heidelberg.»
Paula stieß einen Pfiff aus.
«Soll ich Melissa Bescheid sagen?»
«Nein, wir besprechen das später. Wir müssen überlegen, wie wir mit den neuen Fakten umgehen. Warte. Ruf Lissa an und bitte sie, ach was, sag ihr, sie muss unter allen Umständen um siebzehn Uhr im Büro sein, Gruß von mir. Ich bin hier gerade in, äh, einem Gespräch. Danke, dass du das übernimmst, Tamara, gute Arbeit.»
«Die Dame, die mit dir hier gesessen hat, musste weg, soll ich dir sagen.»
Paulas Lieblingsbedienung stand vor ihr.
«Mist.»
Paula raffte ihre Sachen zusammen, drückte der Frau einen Schein in die Hand, eilte zur Tür und sah gerade noch einen Zipfel von Lillis Rock um die Ecke schwingen.
Der Dreh zog sich hin. Längst sollte das Team am Potsdamer Platz sein. Braun verpatzte die Schrittfolgen, die er auf dem breiten, gepflasterten Mittelstreifen der Straße absolvieren sollte. Die Straßenränder säumten immer mehr parkende Autos, und auf den Bürgersteigen sammelten sich Zuschauer. Autofahrer nahmen die Geschwindigkeit raus, hupten, winkten und blockierten den Verkehr. Die Schutzpolizei protestierte, ließ sich für einen letzten Versuch beschwatzen; die Zeit für den Ordnungsdienst, den sie hier leisteten, war längst abgelaufen. Brauns Nervosität steigerte sich. Der Choreograph entschärfte die Abläufe, was Braun noch mehr verunsicherte.
Melissa stand in der Nähe des Regisseurs, der sich hektisch mit seinem Team und Reimann besprach. Schließlich einigte man sich darauf, die vorgesehenen Sequenzen am Potsdamer Platz ohne Braun zu filmen und eine Halle zu organisieren, in der man am nächsten Tag ungestört drehen konnte. Auf die Abendaufnahmen wollte der Regisseur auf keinen Fall verzichten, drohte: «Hinschmeißen, den Mist, wir doubeln die Schritte, beschränken uns auf seinen Oberkörper und sein Gesicht, wenn er es bis heute Abend frisch hält.»
«Früher hieß es, man bekommt im Alter das Gesicht, das man verdient. Heutzutage bekommt man das Gesicht, das man sich von seinem Verdienst leisten kann», sagte der Kameramann. Keiner würdigte seinen Scherz. Man atmete durch und ging an den letzten Versuch.
Tamara übermittelte Melissa das Treffen im Büro.
Sie musste es unter allen Umständen schaffen, Paula würde explodieren, wenn sie von den Vorgängen der Nacht erfuhr, die Melissa ihr noch nicht mal telefonisch mitgeteilt hatte.
Einige Straßen weiter verstärkte sich Paulas Gefühl, dass Lilli ziellos durch das Viertel streifte, eine wirre Flucht, ohne sich umzusehen; es war ein Leichtes für Paula, ihr zu folgen und die Gedanken schweifen zu lassen.
Panitz. Braun. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, die Minderjährige geschwängert. Fahrerflucht. Panitz sorgt für das Alibi. Der überstürzte Umzug vom Dorf nach Heidelberg. Später die langjährigen Dauerüberweisungen an Panitz nach
Weitere Kostenlose Bücher