Backstage
Gaspedal durch.
Sie tranken, Braun hastig, Melissa bedächtig. Sie setzte sich schließlich auf eine der Couchen, er lief in der Wohnhalle umher. Melissa nutzte das Schweigen, um sich zu überlegen, wie sie vorgehen sollte.
Mittlerweile waren alle aus dem Büro mit Recherchen zu diesem Mordfall beschäftigt. Man ruinierte ihren Ruf. Aufträge wurden gestrichen, und ihre Reserven waren nicht endlos. Und da stand dieser Trottel im Badezimmer und belästigte sie mit seinem Schwanz.
«1977 ist das Jahr, in dem Panitz und du aus eurem Dorf weggezogen seid.»
Braun stoppte abrupt seinen Dauerlauf.
«Kurz vor eurem Umzug ist ein schwangeres Mädchen angefahren worden, das deine Freundin gewesen sein soll und das am Unfallort gestorben ist.»
Braun ging zum Barwagen, mixte sich einen Drink, er hatte schon welche zum Essen gehabt.
«Rede schon, sonst hau ich ab.»
«Lilli war meine Freundin, nicht die andere. An dem Abend war ich bei Panitz. Ich hatte also sogar ein Alibi. Es war ein schrecklicher Unfall, der Ort war in Aufruhr. Für uns war es der letzte Anstoß, um abzuhauen. Wir wollten raus, schon seit zwei Jahren. Panitz und ich waren Freunde, von Kind an, haben uns immer unterstützt. Das hab ich auch gemacht, als er später nach Berlin abhauen musste. Natürlich war es auch ein Ausgleich für die Songs, die wir zusammen in der Garage entwickelt haben und die ich, als er in Berlin wohnte, auf die erste Platte genommen habe. Einer ist ein Hit geworden. Damals war die erste Platte noch was Besonderes, heute kann jede Erna eine CD im Wohnzimmer aufnehmen. Es gab auch steuerliche Gründe, warum wir es unter anderem Namen abwickelten und um meinen Namen zu schützen, du siehst doch, zu welchen Verdächtigungen so was führen kann. Schmitt ist Lillis Geburtsname und Jon ihr zweiter Vorname.»
Er saß Melissa gegenüber, trank in großen Schlucken. Sie war bei Cognac geblieben.
«Lillis Erzeuger war ein Tunnelbau-Ingenieur, den sie für kurze Zeit in die Gegend geholt hatten, er war Fachmann für Eisenbahntunnel und verschwand anschließend, ließ nur den Namen zurück, Jon.»
«Und das Mädchen für diesen Vornamen. Deine Frau erzählt, dass deine Mutter dich nach dem Umzug unterstützt hat?»
«Hast wohl mein Leben ausspioniert. Das Geld ging in die Anlage, Verstärker, bessere Instrumente.» Er trank zu schnell. «Es reicht jetzt mit den alten Geschichten. Sieh mal, was Reimann für morgen arrangiert hat.»
Er zog ein verknittertes Papier aus der Hosentasche, glättete es. «Hier. Mein Plan für den Morgen: Fitnesstrainer, Kosmetiker, Friseur, dann eine Stylingberaterin für das, was ich morgen anziehe.»
Melissa ließ sich nicht auf das Ablenkungsmanöver ein.
«Man sagt, das Mädchen hätte gerettet werden können, wenn man ihr geholfen, sie sofort in ein Krankenhaus gebracht hätte.» Braun stand auf, eierte zur Bar und kippte eine ordentliche Portion Rum zu dem Rest im Glas. Er hatte jetzt schon den Gang eines Mannes, der zu viel getrunken hat und bemüht war, es zu verbergen.
Melissa schwenkte auf eine andere Frage um, die sie beschäftigte: «Sag mal, nach einem Gesichtsliften braucht man doch mehr als zehn Tage, um wieder vorzeigbar zu werden?»
«Ich hab mir in Amsterdam nur die Falten unterspritzen lassen, das wirkt natürlicher.»
«Dann gab es höchstens alte OP-Narben und damit keinen Grund, im Haus der Kulturen den Friseur und die Visagistin aus der Garderobe zu schicken.»
«Versteh ich nicht. Was meinst'n damit?»
Braun hatte eindeutig zu viel getrunken. Von Singen, von Üben war längst nicht mehr die Rede.
«Du hast gesagt, dass du die beiden kurz vor dem Mord weggeschickt hast, damit sie deine frischen Narben vom Liften nicht sehen. Schon vergessen?»
Braun nahm einen Schluck vom Selbstgemixten.
«Ich musste nochmal», grinste er.
«Du hattest nebenan ein Privatbad.»
«Eben.»
Was meinte der Kerl damit?
«Privat», nuschelte Braun. «Das war der Haken.»
Also ging er ins öffentlich zugängliche Klo, um zu onanieren, aufgeputscht von der Vorstellung, gehört zu werden? Sucht nach und Furcht vor Öffentlichkeit? Wie weit ging dieses Verlangen, und wann bremste ihn die Angst vor dem Ertapptwerden? Bei ihr schien er sich sicher zu fühlen, aber das war ein zweifelhaftes Kompliment.
Ach, und jetzt heulte er, rief nach Panitz und einem weiteren Drink, wenn sie das Gebrabbel richtig verstand. Telefongeklingel. Braun durchsuchte tapsig seine Hosentaschen. «Es ist mein Handy», sagte
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