Backstage
sie, fand einen Schlüssel, Melissas Hausschlüssel, daran ein Zettel mit ihrer Adresse; er las, grinste, steckte ihn ein und schob ihr die Tasche zurück auf den Schoß.
Gladys versuchte, mit dem Taxifahrer Augenkontakt aufzunehmen, aber der gehörte zu der Sorte, die ohne Rückspiegel fuhr. Fremd ihr die Stadt, die Arbeitsweise der Polizei, die Streife fuhr. Und - sie war in Sorge um Melissa. Der bewaffnete Mann neben ihr, alkohol- und tablettenabhängig, war als Sicherheitsrisiko eingestuft und, nach aufgedeckten Betrügereien mit der Spesenabrechnung, gefeuert worden. Sie war auf sich gestellt, ohne Team, ohne technische Hilfsmittel. Sie schob ihren Oberkörper zentimeterweise weg von seinem. Sie besann sich auf eine Atemtechnik, um sich besser konzentrieren zu können, klar zu werden; der Mann war gereizt, to the max, und wer weiß, was er intus hatte oder, vielleicht schlimmer noch, nicht hatte.
Mit ihm ins Gespräch kommen - Floskeln vermeiden, die er unter Umständen aus seinem Alltag bei der CIA kennt -, nachvollziehen, was in ihm vorgeht, eine Beziehung zu ihm herstellen - all das ging ihr durch den Kopf; Standards, leer und hohl. Jetzt ging es nicht um eine fremde Person, jetzt war sie selbst die Geisel.
Gladys spekulierte auf ein Gespräch mit dem Taxifahrer, darauf, ihm einen Hinweis geben zu können. Sie setzte an und spürte sofort den Ellbogen von McMillan, den er ihr schmerzhaft in die Seite bohrte. Er packte sie am Oberarm, hielt sie fest.
Der Taxifahrer ließ Musik laufen. Er fuhr flott in die Siedlung nach Weißensee.
Der Nachmittag lud zu Gartenarbeiten ein, mild war es, die Sonne schien. Aber Melissas Nachbarn waren nicht zu sehen, als McMillan mit Gladys in die Straße einbog. Er hatte das Taxi eine Querstraße weiter halten lassen, darauf geachtet, dass Gladys nichts im Auto ließ und ihr dann den linken Arm um die Schulter gelegt, ein gefrorenes Lächeln im Gesicht.
Ganz am anderen Ende wusch jemand sein Auto, aber er stand mit dem Rücken zu ihnen. Sonst schien die Arbeit in Vorgärten schon getan, Zeit, Kaffee zu trinken, hinter den Häusern, auf den Terrassen.
McMillan war gut einen Kopf größer als Gladys, breite Schultern, schlank, beinahe mager, der Griff, mit dem er sie hielt, zeugte von körperlicher Kraft. Irgendwann war auch er ausgebildet worden in Nahkampf und Selbstverteidigung. Gladys hoffte, dass ihre Fitness ihr zustatten käme, ihre Schnelligkeit ihr Vorteile einbrächte.
Er bohrte seine Finger in Gladys' Schulter, als sie an Melissas Haus vorbeigehen wollte, zwang sie mit festem Griff, zur Haustür zu gehen. Er bedrohte sie mit der Waffe, drückte ihr den Schlüssel in die Hand und forderte sie mit einer Geste auf, die Tür zu öffnen.
Die erste Erleichterung, seit er sie in seiner Gewalt hielt: Melissa war nicht zu Hause.
McMillan verschloss die Haustür und steckte den Schlüssel ein. Alle Jalousien waren heruntergelassen, nur durch eine, schräg gestellt die Lamellen, fiel Tageslicht in den großen Wohnraum. Das Bett war unberührt, die Tagesdecke darauf glatt gestrichen. Benutztes Frühstücksgeschirr und Gläser am Abwaschbecken in der Küchenzeile.
Die Tür zum Bad stand halb offen. Rasch lief McMillan zu diesem einzigen abgetrennten Raum und spähte hinein, ebenso hinter den an der Decke aufgehängten Vorhang, der die Kleiderstange verbarg.
Die Schiebetür zur Terrasse war abgeschlossen, der Schlüssel abgezogen.
Es gab nur noch ein Fenster, links vom Eingang, und ein sehr kleines im Bad.
Es war Zeit, die Initiative zu ergreifen, den Mann und das, was er vorhatte, kennen zu lernen.
«Kaffee?», fragte sie, wandte sich zur Küchenzeile und begann zu hantieren. Unschlüssig stand er hinter ihr, dann zog er die Schubladen heraus, bis er die mit Besteck fand, nahm die Messer und Gabeln, dazu den Messerblock, und brachte das Besteck ins Bad, das er verriegelte.
«Okay», sagte er.
Das Telefon klingelte, der altmodische Anrufbeantworter sprang an, die Ansage auf stumm gestellt.
McMillan saß auf der Couch, die Füße auf dem Tisch abgestützt, Gladys dirigierte er an den Esstisch, wies ihr einen Stuhl zu, seitlich zu ihm, die Haustür im Rücken.
Was wusste sie von ihm?
Früher in Berlin stationiert, Mitarbeiter der CIA. Ehrgeizig zeigte er sich damals, lernte deshalb Deutsch, was ihm auch nach dem Fall der Mauer zustatten kam. In die USA zurückbeordert, betreute er Wissenschaftler und hochrangige Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der DDR, die
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