Backstage
er sie am Arm fest und tastete sie ab, entspannte die Gesichtszüge, die Körperhaltung. Ein wenig.
Gladys nutzte diesen Moment.
«Soll ich etwas zu essen machen?», schlug sie vor und wandte sich zur Küchenzeile.
Er musterte sie.
«Etwas Warmes würde gut tun. »
Er ließ sie gewähren, nahm sich einen Stuhl, setzte sich rittlings darauf und beobachtete ihr Hantieren.
Melissa gehörte nicht zu denen, die oft kochten, die Vorräte bescheiden, die Auswahl an Gewürzen beschränkte sich auf Pfeffer, Salz und Worcestersauce, die Dose mit Currypulver war leer. Jetzt, da Gladys agieren konnte, wurde sie ruhig. Sie bezog ihn, beiläufig, in die Kocherei mit ein. Sie hob je eine Packung mit Nudeln und Spaghetti hoch, ließ ihn die Wahl treffen, gab ihm die Dose mit Thunfisch, um den Deckel hochzuziehen, und ein Glas mit geschälten, selbst eingemachten Tomaten zum Öffnen; letzteres beäugte er fragend, anscheinend hatte er so ein Einmachglas noch nie gesehen.
Gladys konzentrierte sich darauf, sich ruhig und für ihn gut sichtbar zu bewegen - nichts Abruptes, nichts, das ein plötzliches Geräusch produzierte.
Im Gemüsefach graulte sich ein Sträußchen Petersilie, das sie zerpflückte und in die Sauce gab. Knoblauch und Zwiebeln waren en masse vorhanden, aber er schüttelte den Kopf, holte keines der Messer aus dem Bad.
Sie arbeiteten wortlos, von außen mochten sie wie ein wortlos gewordenes Ehepaar wirken. Aber Gladys blieb auf der Hut, wie auch er. Aber: Er ließ sie gewähren.
Schließlich standen eine Schüssel mit dampfenden Spaghetti und eine Pfanne mit Tomatensoße auf dem Tisch. Gladys stellte zwei Teller und Löffel dazu, reichte ihm seinen, üppig gefüllt. Er winkte sie an das Kopfende vom Tisch, ihm gegenüber, schob seinen Stuhl nahe an den Tisch heran, zerteilte die Spaghetti mit dem Löffelrand und begann zu schaufeln; gierig, hungrig, aber immer noch sie im Auge.
Gladys aß langsam, überlegte den nächsten Schritt.
«Reicht das Salz?»
Er nickte.
«Es war nicht viel Auswahl. Ich koche gern.»
Er schlang, verbot ihr aber nicht den Mund wie bisher. «Noch Pfeffer?»
Er nickte.
Sie brachte ihm den Streuer. Er verfolgte sie dieses Mal nicht mit den Augen.
«Sie haben nicht viel gegessen in den letzten Tagen.»
Er brachte so etwas wie ein Lächeln zustande.
«Es ist schwierig, sich in so einer Situation zu versorgen, right? Keine Muster bilden, nicht in Wohnungsnähe einkaufen, Videos ausleihen oder eine Wäscherei benutzen. Das haben sie uns eingebläut in der Ausbildung: Einer, der sich versteckt, muss irgendwann raus, braucht Zigaretten, was zu essen, Sie kennen das doch, auch wenn Sie in einer anderen Klasse gespielt haben.»
Langsam, Gladys, nicht zuschütten, lass ihm Zeit.
«Ich hab immer einen guten Job abgeliefert. Immer.»
Er kratzte mit dem Löffel den Soßenrest vom Teller. Gladys beugte sich vor, schob Schüssel und Pfanne näher zu ihm. Ein grässliches Geräusch, das in Gladys' Ohren anschwoll, immer lauter wurde, er hörte nicht auf, das Metall über das Porzellan zu schrammen, sie hätte am liebsten gebrüllt, dass er aufhören solle, krallte sich an der Tischkante fest, bis sie den Wutanfall unter Kontrolle hatte. Dann stand sie auf und füllte seinen Teller bis zum Rand mit Nudeln und Soße.
«Sie haben die Leute aus der DDR betreut», sagte sie beiläufig. Er mampfte, nickte.
Er stank.
Sie ging zurück zu ihrem Platz, schob den Stuhl etwas näher zu ihm.
«Immer unterwegs. Diese Leute wohnen über Kalifornien verstreut», nuschelte er, den Mund voller Nudeln.
«Es war sicher nicht einfach, immer unterwegs zu sein. Man kennt das: Schäbige, bestenfalls mittelmäßige Hotelzimmer, fades Restaurantessen, weil die Spesen zu knapp sind.»
Er sah sie an. Zum ersten Mal sah er ihr, sekundenlang, in die Augen.
«Sie hatten nie einen Grund, über meine Arbeit zu klagen. Nie. Dann kommt man mal in schwierige Zeiten ...»
Er zog eine Zigarettenpackung aus der Jackentasche, fummelte die Verpackung auf, steckte sich eine an.
«Es hieß, es habe eine allgemeine Überprüfung der Mitarbeiter gegeben.»
Er hieb mit der Faust auf den Tisch.
«Man hat Sie alleine gelassen, nicht?»
«Solange alles gut lief, hat keiner nach dem Wie gefragt. Dann kam meine Operation. Wir hatten gerade eine neue Lieferung, ein wichtiger Stasi», nuschelte er das letzte Wort in Deutsch, «der sich noch verdrückte, bevor er aufflog, Nachschub, bevor die nach der Wende konfiszierten Unterlagen
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