Backstage
der Stasi, diese Rosenholz-Datei, wieder an die Deutschen zurückgingen. Ich sollte schnell wieder fit werden, wurde gebraucht. Also gaben sie mir Medikamente. Schmerzmittel. Später musste ich sie selbst bezahlen und besorgen.»
Er aß wieder, fraß, als hätte er tagelang nichts gegessen. «Sie brauchten Geld, um die Medikamente zu bezahlen.»
«Niemand hat nachgefragt, wie es kam, dass ich so schnell wieder einsatzbereit war. Dann, als der Mann installiert war und Flaute herrschte, ließen sie mich hängen.»
Gladys hätte ihm am liebsten ins Gesicht gelacht. Die alte Junkiemär, unschuldig in die Sucht, von was immer, geraten. Er hatte Geld veruntreut, um die Sucht zu finanzieren, auf dem Schwarzmarkt verschreibungspflichtige Medikamente gekauft. Er hatte Spesenabrechnungen gefälscht, getürkte Belege über Ausgaben eingereicht, die angeblich den Betreuten zugute gekommen waren. Es hatte eine Weile gedauert, bis die Vorgesetzten dahinter kamen. Er wurde gefeuert, verlor die Rentenansprüche - so weit kannte sie die Geschichte. Er verschwand, bevor eine Verhandlung angesetzt wurde, was vermutlich nie geschehen wäre; solche Themen hielt jeder Geheimdienst der Welt aus der Öffentlichkeit heraus.
«Wieso Berlin?»
Er hatte auch die zweite Portion herunter geschlungen.
«Wie soll es hier weitergehen? Sie haben sicher noch Kontakte?» Er griff nach der Schüssel und warf sie an die Wand.
Scheiße, wieder eine Schwachstelle getroffen. Gladys stand auf, räumte das Geschirr vom Tisch ab, während er die großen Scherben einsammelte. Ein Blick zu ihm, dann bückte sie sich rasch und zog den Stecker vom Anrufbeantworter aus der Buchse, kam sofort hoch und trug die Teller zum Spülbecken. Er hatte nichts bemerkt.
Dann war es wieder wie zuvor: Sie auf dem Bett, er auf der Couch, die Fernsehbilder liefen ohne Ton.
Es war dunkel geworden.
Er ging zu ihr, knipste die Lampe am Bett an, verdrehte den Schirm, hüllte sie in den Lichtkegel.
Das würde sie nicht lange aushalten.
Und er, was hatte er vor? Er musste doch damit rechnen, dass Melissa nach Hause kam. Oder war er genau darauf aus, um Druck auf deutsche Behörden auszuüben? Eine Geisel nehmen, eine zweite Person als Mittlerin, als Sprachrohr, um seine Forderungen zu überbringen?
Immerhin hatte er sich den Lockvogel vom Hals geschafft, ohne entdeckt zu werden, sie, Gladys, einkassiert, bevor sie ihn verpfeifen konnte.
Er hatte wohl keinen zuverlässigen Kontaktmann beim BND. War das sein Plan: eine Geiselnahme, damit man ihm zuhörte, ihn nicht sofort an den alten Arbeitgeber auslieferte? Spekulierte er darauf, sich mit seinem Wissen freizukaufen? Straffreiheit, eine neue Identität?
Was für eine Aktion, die eines Süchtigen. Der Typ war fertig, und Gladys fragte sich, ob sein Wissen genügte, um so einen Deal zu erreichen.
Wie immer, dazu brauchte er Melissa.
Tu was, ermunterte sie sich. Bald. Bevor Melissa zurückkommt.
«Frischen Kaffee?»
Er murmelte etwas Unverständliches, rappelte sich hoch, nickte, verfolgte sie wieder mit Blicken.
Sie setzte den Kaffeeautomat in Betrieb, mit dem Rücken zu ihm, das Gehör rückwärtig gerichtet - eine Situation, die ihr den Schweiß ins Gesicht trieb und ihr große Selbstbeherrschung abverlangte.
Sie ließ den Kaffee in der Kanne, die Heizplatte an. Der Duft hob sich - noch - vom Zigarettenrauch ab, der zunehmend die Zimmerluft verpestete. Sie fand ein Tablett, stellte Zucker und Dosenmilch dazu, die sie in ein Kännchen umfüllte - biete ihm etwas an. Sie fand Waffeln im Brotkasten, die sie auf dem Toaster aufbuk. Dann goss sie den Kaffee in zwei Tassen.
Gladys setzte sich zu ihm, vorsichtig, in einiger Entfernung, wählte den Sessel, benutzte nur den vorderen Teil der Sitzfläche. Sei sein Gast.
Sie bediente ihn, achtete wieder darauf, ihn nicht zu erschrecken oder herauszufordern. Oh, wie gerne: den heißen Kaffee, ihm ins Gesicht; da nahm er ihr schon die Tasse ab. Gladys hatte mehr Pulver als zu Hause üblich in den Filter getan. Er verzog das Gesicht nach dem ersten Schluck, füllte drei Löffel Zucker nach. «Es ist schon eine beachtliche Leistung, so lange unentdeckt zu bleiben», schmeichelte sie ihm, nahm einen Schluck vom Kaffee, der ihr heiß die Kehle herabrann. Das Herz pumpte, sie wollte wach bleiben.
«Und alles ohne Vorbereitung.»
Irgendwie schien er froh, dass die Stille durchbrochen wurde, ließ die Schultern sacken. Irgendwann kam immer der Punkt, an dem sie anfingen zu reden,
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