Backup - Roman
durch die Szenerie. Beim Erwachen fühlte ich mich unnatürlich ruhig und heiter und wusste, dass dafür die Voreinstellungen gewisser Neurotransmitterpegel verantwortlich waren, die man bei meiner Wiederherstellung vorgenommen hatte.
An meinem Bett saßen Dan und Lil. Lils müdes, lächelndes Gesicht war von Haarsträhnen eingerahmt, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten. Sie nahm meine Hand und küsste die glatten Knöchel, während Dan mich wohlwollend anlächelte, und ich sonnte mich in dem angenehmen Gefühl, unter Menschen zu sein, die mich wirklich liebten. Ich suchte nach Worten, die diesem Moment angemessen waren, beschloss dann aber, einfach zu improvisieren, machte den
Mund auf und sagte zu meiner eigenen Verblüffung: »Ich muss mal pinkeln.«
Dan und Lil lächelten sich an. Ich sprang nackt aus dem Bett und stapfte ins Bad. Meine Muskeln waren wunderbar locker und hatten eine ganz neue Spannkraft. Nachdem ich die Spülung betätigt hatte, beugte ich mich vor, umfasste meine Fußgelenke und drückte meinen Kopf zu Boden. Dabei spürte ich die herrliche Biegsamkeit meines Rückens, meiner Beine und meiner Gesäßmuskeln. Eine Narbe auf meinem Knie war verschwunden, genau wie die vielen Falten, die meine Finger wie ein Netz überzogen hatten. Als ich in den Spiegel sah, bemerkte ich, dass meine Nase und meine Ohrläppchen kleiner waren und kesser wirkten als zuvor. Auch die vertrauten Krähenfüße und die Falten zwischen den Augenbrauen waren verschwunden. Mein ganzer Körper war mit frischen Stoppeln übersät – der Kopf, das Gesicht, die Scham, Arme und Beine. Ich fuhr mir mit den Händen über den Leib, und alles war so kitzelnd neu, dass ich kichern musste. Einen Moment lang überlegte ich, ob ich mich komplett enthaaren sollte, nur um das Gefühl der Neuheit zu bewahren. Doch da die präparierten Neurotransmitter inzwischen an Wirkung verloren, spürte ich zunehmend den Drang, mich mit dem Mord zu befassen.
Deshalb schlang ich mir ein Handtuch um die
Hüften und ging ins Schlafzimmer zurück. Der Geruch nach Fliesenreiniger, Blumen und einem wiederbelebten Körper drang mir deutlich und prickelnd wie Kampfer in die Nase. Dan und Lil standen auf, als ich ins Zimmer kam, und halfen mir ins Bett. »Also, diese Sache ist ja echt beschissen«, sagte ich.
Ich war direkt vom Uplink-Terminal durch die Tunnel gegangen – wovon drei kurze Aufnahmen der Überwachungskameras zeugten, eine vom Uplink-Terminal, eine aus dem Korridor und eine vom Ausgang der Unterführung zwischen Liberty Square und dem Abenteuerland. Ich wirkte verwirrt und ein wenig traurig, als ich aus der Tür kam und mir einen Weg durch die Menge bahnte, wobei ich schlurfende, aber hastige Slalomschritte vollführte. Diesen Gang hatte ich mir angewöhnt, während ich Recherchen für meine Dissertation über Publikumslenkung und -überwachung durchführte. Zügig durchquerte ich das Mittagsgedränge und steuerte auf den Tiki Room zu, dessen lang gestrecktes Dach aus glänzenden Aluminiumbahnen besteht, so gestrichen, dass sie wie lange Grashalme aussehen.
Es folgten einige verschwommene Aufnahmen aus Dans Perspektive: Während ich mich ihm nähere, komme ich an einer Gruppe halbwüchsiger Mädchen vorbei, die mit zusätzlichen Knien und Ellbogen ausgestattet sind und umweltverträgliche
Mäntel und Mützen mit dem Logo des Epcot Center tragen. Eines von ihnen hat einen Tropenhelm aufgesetzt, der aus dem Dschungelladen vor dem Eingang zur Flusstour stammt. Dan schaut für einen Moment zum Eingang des Tiki Room hinüber, wo sich eine kurze Schlange von älteren Männern gebildet hat, dann wieder zurück, gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie das Mädchen mit dem Tropenhelm eine kleine, stilvolle organische Pistole zückt. Die Pistole ähnelt einem Penis und hat einen Fortsatz, der sich um den Arm der jungen Frau windet. Mit beiläufigem Grinsen hebt sie die Waffe, zieht den Zeigefinger – genau wie Lil beim Uploading ihrer Schützlinge – nach hinten durch, und die Pistole geht los. Dans Blick zuckt wieder in meine Richtung. Ich sacke zusammen, meine Lungen bersten aus dem Brustkorb und breiten sich wie Flügel vor mir aus. Wirbelsäulenknorpel und Eingeweide ergießen sich über die vor mir stehenden Gäste. Ein Stück meines Namensschilds dringt Dan wie Schrapnell in die Stirn; er kneift die Augen zusammen. Als er wieder hinsieht, steht die Mädchengruppe immer noch da, aber die junge Frau mit der Pistole ist längst
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