BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Finsternis in den unterirdischen Gefilden des alten Jerusalem floh vor ihren Blicken. Anum lag neben ihr auf dem Rücken. Er war nackt, kalt und klassisch schön wie eine Figur aus glänzendem Porzellan. Er strahlte mehr Sinnlichkeit aus als jeder andere Mensch, dem Heaven sich hingegeben hatte.
Er ist kein Mensch,
erinnerte sie sich. Aber eine Erklärung für die Anziehungskraft, der sie erlegen war, fand sie nicht.
Sie lauschte in sich.
Außer Anum gab es noch mehr, was ihr nicht geheuer war.
In Uruk war Beth' Seele in ihr aufgegangen, und jeder bisherige Versuch, damit zurechtzukommen, das Konzentrat einer anderen Person in sich zu tragen, fremdes Wissen wie eigenes Wissen abrufen zu können, war gescheitert.
Nun bin ich vollends zum Monstrum geworden,
dachte Heaven.
Fühle ich mich ihm –,
ihr Blick hielt an Anum fest,
– etwa deshalb so zugetan? Auch er liegt zweifellos jenseits aller Norm...
Gequält schöpfte sie Atem, richtete sich halb auf und stützte sich auf ihren Ellbogen ab. Während ihres kurzen Schlafes hatte der Symbiont ein Catsuit geformt, das allein den Kopf, die Hände und Füße aussparte. Der zarte Stoff des Mimikrykleids war kaum fühlbar. Sein Federgewicht ließ Heaven darüber hinwegsehen, dass auch dies nur eine weitere Monstrosität war, die ihr Leben begleitete: ein mimikryfähiges Stückchen von der Haut der Lilith, das sich in extremen Gefahrensituationen in einen Panzer von undurchdringlicher Härte verwandeln konnte.
Früher, das hatte sie aus der EWIGEN CHRONIK erfahren, war der Symbiont sogar eine fürchterlicher Waffe gewesen – eine Waffe gegen Vampire. Wie hätte er wohl Anum in Heavens unmittelbarer Nähe akzeptiert und toleriert, wenn er immer noch diese Waffe gewesen wäre?
Sie lächelte versonnen.
Dann erstarrte sie.
Anums Augen waren geschlossen, und dennoch fühlte sie Blicke auf sich, fühlte sie sich... beobachtet!
Ohne ihre Haltung zu verändern, erhöhte sie ihre Wachsamkeit, lauschte nicht mehr in sich, sondern in ihre Umgebung.
Nicht weit von diesem unterirdischen Flecken lag die versunkenen Kirche, die längst von der Oberwelt vergessen war – und in der Sardon gestorben war. Wo ihm Heaven einen armlangen Eichenpflock in die Brust gestoßen hatte.
Der Keil hatte Sardons Schicksal besiegelt. Aber Sardon war im Tode nicht zu Asche zerfallen wie die Kinder des Kelchs. Hier war deutlich geworden, wie drastisch er sich wirklich von ihnen unterschieden hatte. Er war
von Geburt an
von schwarzem Geblüt gewesen, hatte nicht erst aus einem Menschenkind bei der Kelchtaufe
geformt
werden müssen.
Anum schien Sardon aufgrund der Art, wie er gestorben war, noch zusätzlich zu verachten. Er war hingegangen und hatte den Leichnam seines Bruders mit Hütermagie in Brand gesetzt und so doch noch eingeäschert. Offenbar wollte er jedes Risiko ausschließen.
»Es ist gut, dass er so gestorben ist«, hatte er nur gemeint. »Der Tod, den
ich
ihn hätte erleiden lassen, wäre weniger schnell vonstattengegangen.«
»Das klingt, als hättest du ihn abgrundtief gehasst«, hatte Heaven gesagt.
»Nein«, hatte er erwidert. »Es war kein Hass. Es war... Enttäuschung. Wenn du unseren Traum kennen würdest – wenn du bereits alles über die Hohe Zeit und ihre Struktur wüsstest, würdest du mich verstehen. Aber du wirst es erleben. Worte sind schal, mit ihnen kann ich dir nicht beschreiben, was dich –
uns
– erwartet. Zwanzig sollten über diese Welt herrschen, nun sind es
zwei.
Aber zwei, die stark und entschlossen sind wie zwanzig...«
»Du und ich?«
»Ich und du«, hatte Anum bestätigt.
Anum... In seiner Anwesenheit sah Heaven sich fast außerstande, klare Gedanken zu fassen.
Das Gefühl, beobachtet zu werden, war noch nicht gewichen.
War Sardon wirklich vernichtet?
In diesem Augenblick zweifelte Heaven daran. In diesem Augenblick hätte sie geschworen, ihm gleich Auge in Auge gegenüberzustehen und begreifen zu müssen, dass er sie getäuscht hatte – wieder einmal.
Wie Phönix aus der Asche wird er mir gegenübertreten...
Langsam erhob sie sich und gab sich Mühe, den Anschein zu erwecken, dies ohne besonderen Anlass zu tun. Sie machte ein paar Schritte, als müsste sie sich die Beine vertreten. Unter ihren nackten Fußsohlen knirschten Sand und kleine Steine.
Absichtlich entfernte sie sich von der Stelle, aus der sie sich beobachtete fühlte – und wechselte übergangslos in die Metamorphose.
Ein menschliches Auge musste beim Versuch scheitern, der
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