BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
solcherart verletzt worden war.
Er und eine Handvoll weiterer Männer durften sich als eine Art Elite unter den Insassen von Highgate Hall ansehen. Sie genossen Privilegien allen anderen gegenüber, waren gewissermaßen Erste-Klasse-Reisende in diesem Zug, der kreuz und quer durch das Land des Wahnsinns fuhr, ohne es je zu verlassen.
Sie durften in angenehmen Zimmern residieren und Kontakt untereinander pflegen, wie Gentlemen in den vornehmen Clubs. Aber auch das war nur eine weitere Art, sie zu strafen – denn geteiltes Leid war in ihren Fällen nicht halbes Leid, sondern potenziertes!
Im Grunde ließ ihr gemeinsames Schicksal auf einen recht simplen Nenner bringen: Sie waren kaum mehr als Versuchskaninchen, die gut gefüttert wurden...
Manchmal wünschte sich Milton Banks, einer von den vielen anderen Patienten zu sein. Wie sie in einer engen Zelle dahinzuvegetieren, nicht wissend, wer und wo sie weshalb waren. Einfach nur zu
sein
. Ein solches Dasein schien ihm erträglicher als eine Existenz ohne Wurzeln, wie er sie zu führen gezwungen war...
Er schrak aus einen trübsinnigen Überlegungen auf, als ein frostiger Hauch ihn streifte. Hatte er ein Fenster geöffnet? War draußen Sturm aufgekommen?
Milton Banks verließ das geräumige Badezimmer – und blieb im Türrahmen stehen, als verwehre ihm eine gläserne Wand jeden weiteren Schritt!
Er hatte Besuch.
Das war an sich kein wirklich bemerkenswertes Vorkommnis. Sie sahen unregelmäßig nach ihm, und manchmal suchte auch ein Leidensgenosse seine Gesellschaft, selbst zu solch später Stunde. Zeit war die bedeutungsloseste aller Erfindungen – jedenfalls für Highgate Hall...
Diesen jungen Mann, der da im Sessel Platz genommen hatte, kannte Milton Banks allerdings nicht.
Ein Neuer unter
ihnen
konnte er nicht sein. Sie wechselten stets gleichzeitig, und die momentane Riege schien Banks noch nicht lange genug hier, als dass es schon Zeit für ihre Ablösung gewesen wäre. Andererseits – es waren
ihre
Regeln, und vielleicht hatten
sie
sie geändert...
»Wer sind Sie? Was tun Sie hier?«, fragte Banks, obwohl er deutlich sah, was der Jüngling tat: Er las in den Unterlagen.
Der andere gab sich den Anschein, als erschrecke er darüber, so plötzlich angesprochen zu werden – und er tat es so überzeugend, dass Milton Banks lächeln musste.
Der junge Mann ließ seine Lektüre sinken, schob ein paar Fotos auf dem kleinen Tisch hin und her und meinte dann: »Muss ja ein furchtbarer Kerl gewesen sein, dieser Milton Banks.«
Milton Banks nickte im Näherkommen.
»Ja, das war er wohl.« Er konnte sich nicht angewöhnen, von jenem Milton Banks in der ersten Person zu sprechen.
»Gefällt mir, der Mann«, sagte der Besucher anerkennend.
»Wie bitte?«
»Ein richtiger... Satansbraten.« Der junge Mann ließ makellos weiße Zahnreihen blitzen.
»Was soll das alles?«, fragte Milton Banks unbehaglich. »Sie können ihrer Rede nach kaum jemand vom Personal sein –«
Oder doch?
unterbrach er sich im Stillen. War dies nur ein neuer Trick von
ihnen
, mit dem sie ihn quälen wollten?
»Nein, bestimmt nicht«, wehrte der Fremde ab. Er stellte sich als Gabriel vor.
Milton Banks nannte seinen Namen.
»Das weiß ich doch«, lächelte der Jüngling. »Wäre ich sonst hier?«
»Was wollen Sie von mir?«
Gabriel tat, als müsse er überlegen. Dann schnippte er mit den Fingern, als habe ihn ein Geistesblitz ereilt. »Wie wär's damit – ich erfülle Ihren sehnlichsten Wunsch!«
»Was sollte das für ein Wunsch sein?«, Milton Banks hätte ad hoc tatsächlich keinen solchen benennen können.
Gabriel griff blind nach einer der Berichtskopien und hielt sie Banks hin.
»Ich mache aus Ihnen«, sagte er ernsthaft, »wieder den Mann, der Sie einmal waren – den wahren Milton Banks!«
Einen Moment lang stand Banks starr wie zu Stein geworden. Dann – lachte er.
»Nichts für ungut, junger Freund«, sagte er dann, »aber Sie sollten jetzt besser in Ihre Zelle zurückkehren. Es ist schon spät, und wie Sie sicher wissen, pflegt man in Highgate Hall sehr zeitig zu frühstücken –«
»Zur Hölle mit dem Frühstück!«, rief Gabriel. »Wenn Sie einwilligen, dann sind wir zum Frühstück schon nicht mehr hier.«
Milton Banks ließ sich seinem jungen Besucher gegenüber nieder und lehnte sich behaglich zurück. Das Bürschlein amüsierte ihn, und er war nicht in der Situation, in der er Kurzweil ausschlagen konnte, wie absurd sie auch sein mochte.
Er senkte seine
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