BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Stimmchen erschrocken war, schaffte er es jetzt, es zu ignorieren. Wie von selbst tasteten seine Finger nach dem Türgriff, und dann stand er auch schon neben dem Wagen.
Was er im allerersten Moment noch für kalten Schweiß hielt, der ihm über das Gesicht lief, waren Regentropfen, die sich aus den tiefhängenden Wolken lösten. Und nur Sekunden später prasselte das Wasser nur so hernieder, als hätte jemand die fetten schwarzen Bäuche dort oben mit einer riesigen Klinge aufgeschlitzt.
Binnen kürzester Zeit war Moses Pray nass bis auf die Haut.
Doch er registrierte es kaum.
Etwas anderes, etwas
ganz
anderes beanspruchte jedes Quäntchen seiner Aufmerksamkeit.
Bei seiner Ankunft hatte er Deadhorse für eine 'Geisterstadt' gehalten.
Und das schien im buchstäblichen Sinne zutreffend zu sein.
Denn Moses Pray konnte die Geister –
hören
!
Er hörte sie heulen, jammern und schreien, stöhnen, wie geknechtete Seelen im grausamsten Winkel der Hölle. Einem schaurigen Chor gleich schwang das Konglomerat von Lauten durch die noch immer stickige Luft und übertönte selbst das Rumoren und Grummeln des Sturms.
Und dann
sah
Moses Pray die Geister auch.
Sie kamen aus den Schatten.
Und sie kamen, um ihn zu holen.
Salem's Lot, US-Bundesstaat Maine
Jennifer Sebree öffnete die Augen nicht einfach, sie
riss
sie auf. Schlagartig war sie wach.
Und doch nahm sie etwas mit herüber aus Schlaf und Traum.
Eine Stimme. Worte.
»
Verzeih mir... Heaven.«
»Heaven«, wiederholte Jennifer flüsternd.
War dies der Name des Phantoms, das seit Nächten durch ihre Träume geisterte?
»Heaven...«
Noch einmal sprach Jennifer ihn aus, und diesmal ließ sie ihn förmlich über die Lippen perlen.
In jedem Fall wäre es ein Name, der zu
ihr
gepasst hätte. Er klang geheimnisvoll, fast schon mystisch, und er war – schön. Alles Eigenschaften, die auch jene Fremde aus dem Traum in sich vereinte.
Auch sie war für Jennifer ein großes Geheimnis, mysteriös, ein wenig unheimlich, und über all dem von einer geradezu betörenden Schönheit. Nicht von der Art Schönheit, die Neid in anderen Frauen weckte, sondern von einer, die jeden, unabhängig vom Geschlecht, in ihren Bann zog.
Jennifer war diesem Zauber erlegen.
Wie ein Geist hatte sich die Fremde durch ein geheimes Türchen in ihre Träume gestohlen. Und seit jener Nacht war sie nicht nur im Schlaf bei Jennifer, sondern bestimmte darüber hinaus auch das tägliche Tun und Denken der jungen Frau.
Aber – würde es so bleiben?
Auch jetzt noch, da die andere – Heaven – in Jennifers Traum gestorben war? Nachdem sie mit einem Pfahl
hingerichtet
worden war?
Nun, Jennifer hatte sie zumindest noch nicht vergessen. Die schwarzmähnige Schöne spukte ihr nach wie vor im Kopf umher. Und deshalb würde Jennifer fortfahren mit dem, wodurch sie hoffte, ihre Träume und deren Nachhall, der bis zur jeweils nächsten Nacht nicht verklang, mit der Zeit aufzuarbeiten und schließlich in den Griff zu bekommen. So dass sie nicht länger Sklavin der Nachtmahre wäre, sondern wieder Herrin über ihren Schlaf und ihr Handeln, ihr Leben.
Voller Tatendrang schwang Jennifer sich aus dem Bett und huschte nackt hinüber zum Fenster. Weit öffnete sie die beiden Flügel und ließ das Licht und die Kühle des herbstlichen Morgens herein. Tief atmete sie den würzigen Duft des noch jungen Tages ein, und einmal mehr war die junge Frau überzeugt davon, dass ein Tag nirgends auf der Welt angenehmer beginnen konnte als hier in Salem's Lot.
Danach schlüpfte sie rasch unter die Dusche, und fast meinte sie, sehen zu können, wie die allerletzten Reste von Müdigkeit, die ihr noch in den Gliedern gesteckt haben mochte, mit dem Wasser im Abfluss zu ihren Füßen verschwanden.
In Jeans und T-Shirt gekleidet und eine Tasse dampfenden Kaffees in der Hand lief sie wenig später die schmale Treppe hinab ins Erdgeschoß des kleinen Hauses, das sie von ihren Eltern geerbt hatte und nun allein bewohnte.
Hier unten hatte Jennifer die meisten Trennwände abreißen lassen, so dass ein großer Raum entstanden war. Ihn nutzte sie nun als Ladengeschäft und Atelier in einem. Wer wollte, konnte ihr durch das große Schaufenster beim Malen über die Schulter sehen. So früh am Morgen jedoch fanden sich draußen noch keine Neugierigen.
Von ihrem Kaffee nippend, besah Jennifer sich fast andächtig, was sie in den vergangenen Tagen auf die Leinwand gebracht hatte.
Träume.
Ihre
Träume.
Jedes Bild war
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