BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Junge schrie jetzt verzweifelter um Hilfe. Nicht mehr an irgendjemanden gewandt, sondern einfach in den Raum hinein.
Er verschwand, löste sich auf! Immer schwächer wurden seine Hilferufe, erstarben schließlich ganz, während der Schemen weiter den Mund öffnete und schloss, weiter gestikulierte und dabei tiefer in den Fußboden sank.
»Erlöse ihn!«, flüsterte Heaven. »Erlöse ihn mit der Magie des Kelchs, wenn du ihn schon nicht damit retten kannst!«
»Unmöglich«, entgegnete Anum. »Dorthin, wo er jetzt schon ist, reicht die Macht des Kelches nicht. Er ist verloren.« Er befreite sich von Heavens Umklammerung, beugte sich über das Mädchen zu seinen Füßen und fühlte ihren Puls.
»Nichts«, sagte er.
Heaven stand da und wagte kaum zu atmen. Sie starrte auf Rahel und wartete, dass auch sie sich aufzulösen begann wie ihr Bruder...
Auch Minuten später lag Rahel immer noch reglos da und machte keinerlei Anstalten, den Tod auch nur kurzzeitig wieder abzuschütteln.
»Glaubst du jetzt, dass wir gescheitert sind?«, fragte Heaven.
Anum war zum Fenster gegangen und warf verstohlene Blicke durch einen Vorhangspalt auf die Straße hinunter, die vor dem Geschäft verlief. Draußen herrschte reger Verkehr. Manchmal blieben Menschen vor der Ladentür stehen und lasen das Schild mit dem Hinweis, dass bis auf weiteres geschlossen war.
Der Lilienkelch stand auf dem Boden an der Stelle, wo David verschwunden war. Der Junge hatte keine Spuren hinterlassen.
Trotz Widerwillen kniete Heaven neben Rahel nieder und untersuchte sie. Das Herz des Mädchens gab keine spürbare Regung von sich. Die Sechsjährige atmete auch nicht mehr. Sie war einfach gestorben.
Ich habe sie auf dem Gewissen. Sie und ihren Bruder,
dachte Heaven.
Nichts und niemand kann mich je von dieser Schuld reinwaschen.
»Hast du dir schon Gedanken gemacht, wohin wir uns von Jerusalem aus wenden sollen?«, fragte Anum, als wäre das Thema »Taufe« für ihn bereits erledigt.
Heaven schüttelte den Kopf. Sie wusste nicht, ob sie überhaupt noch irgendwohin gehen wollte. »Du?«
»Vielleicht.«
»Und?«
Anum wandte sich vom Fenster ab. »Kennst du eine Stadt namens New York?«, fragte er. »Warst du schon einmal dort?«
Unter Wölfen
Zwei Adler landeten auf dem First der Scheune und verwandelten sich in ihre menschliche Gestalt zurück.
»Du bleibst hier. Du bist mir bei dem, was ich vorhabe, keine Hilfe«, sagte Makootemane. Sein in einem Zopf endendes Haar bewegte sich sacht im Wind.
»Du kannst nicht erwarten, dass ich einfach nur zusehe, wie du dich in Gefahr begibst – und vielleicht darin umkommst!«, widersprach Hidden Moon heftig.
Das Dach der Scheune bot ihnen auch in dieser Gestalt ausreichenden Halt, und Hidden Moons Augen forschten nach dem Halbwüchsigen, den er ganz in der Nähe getroffen und dem er aufgetragen hatte, die Dörfler zu warnen.
Offenbar hatte man ihm keinen Glauben geschenkt. Und bezahlte es nun mit dem Leben.
»Ich werde nicht umkommen«, erwiderte Makootemane mit solch fester Stimme, dass nur ehrliche Überzeugung dahinter stecken konnte. »Aber vielleicht kann ich den Wahnsinn stoppen!«
»Wie?«
»Wie ich es schon einmal tat.«
»Aber du hast noch nie–« Hidden Moon verstummte jäh, als ihm dämmerte, worauf seine Ziehvater anspielte.
Hidden Moon hatte bereits begonnen, Schindeln aus dem Dach zu brechen. Mit bloßen Händen. Und den berserkerhaften Kräften, die jeder Vampir besaß.
Hidden Moon wusste, dass Makootemane sich von seinem Entschluss nicht mehr abbringen lassen würde. So beobachtete er schweigend, wie sein Stammesführer durch das freigelegte Gebälk des Daches tauchte.
Und er beschloss, ihm zu folgen. Wenn schon nicht als Gefährte, so doch wenigstens als Chronist der Schlacht, die Makootemane auszufechten gedachte.
Gegen den Anführer des schrecklichen Rudels.
Gegen Chiyoda...
Makootemane landete federnd auf losem Heu und durchbohrte das Halbdunkel mit dem sengenden Blick eines Vampirs, der dürstend die Witterung des Blutes aufgenommen hatte, das hier in Strömen vergossen worden war.
Langsam bewegte er sich zum Rand des Heubodens. In der Tiefe schien für einen Moment keine Unterscheidung zwischen einzelnen Objekten möglich...
... bis eines sich bewegte. Bis die Bestie den Kopf in den Nacken bog, die Schnauze, die in dampfendem Fleisch gewühlt hatte, reckte und herauf sah.
»Chiyoda!«, Makootemane klang, als wären seine Stimmbänder heiser entzündet.
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