BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Gabriel. »Bis auf eine Kleinigkeit.«
»Welche?«
»Sollte es zu einem Kampf der Brüder kommen, und davon gehe ich aus, wird der Unterlegene ganz gewiß keine Gnade unter den Augen des Siegers finden.«
»Du meinst, Sardon würde Anum töten?«
Gabriel stutzte kurz, als müsste er erst überlegen, ob Rona tatsächlich so naiv sein konnte. Dann erwiderte er ungehalten:
»Blödsinn!«
Und Rona begriff.
Zur gleichen Zeit, mitten in der Negev-Steppe
In dem klapprigen alten Bus, der entlang einer kaum sichtbaren Überlandpiste gen Sedom rumpelte, war es brütend heiß. Die hinter dem Steuer sitzende Gestalt hatte die Kapuze ihrer Kutte dennoch über den Kopf gestülpt, so dass ein Schatten über das bleiche Gesicht geworfen wurde, in dem zwei Kohlen düsterrot zu glimmen schienen.
Von den anderen elf Kuttenträgern hatte nur einer die Kapuze zurückgeschoben und gestattete dem Sonnenlicht, auf sein Gesicht zu fallen. Es war zugleich der untypischste der Archonten, neben dem Sardon Platz genommen hatte.
Eine Frau. Ihr Name war Jada, und nach vielen Jahren – Jahrhunderten –, die sie von ihren Stiefbrüdern und -schwestern getrennt gewesen war, hatte sie Anstrengungen unternommen, ihr Äußeres dem normaler Menschen anzugleichen. Seither spross Haar auf ihrem Haupt und war ihre Haut nicht mehr so totenweiß wie die der anderen Albinos. Für den Uneingeweihten sah sie tatsächlich aus wie eine nicht unhübsche, brünette Frau Anfang Dreißig. Nur die Kontaktlinsen, die das stechende Rot ihrer Augen verhüllt hatten, hatte sie bei der Wiederbegegnung mit den anderen Archonten abgelegt.
Aus Scham?
Sardon bezweifelte, dass Jada ihm auf eine entsprechende Frage geantwortet hätte. Gespannt erwartete er ihre Ankunft in Jerusalem, wohin er die »Kinder Satans« in Gabriels Auftrag führen sollte, nachdem er sie aus ihrem Verlies im Weißen Tempel von Uruk befreit hatte. Alle bis auf Jada, mit der er schon in der Feste Ophit zusammengetroffen war...
»Was meinst du?«, wandte sich Sardon der Frau zu, die wie die anderen Insassen des Busses im zarten Kindesalter gestorben, dann aber vom leibhaftigen Satan aus ihrem Grab gestohlen und wiedererweckt worden war. Um ihm zu dienen.
Der Teufel machte keine Geschenke. Er gab, um selbst wieder nehmen zu können. Alles bei ihm hatte einen Preis, den auch die Archonten irgendwann, vielleicht schon bald, abgelten würden.
Sardon wusste dies aus leidvoller eigener Erfahrung. Denn auch er hatte sich zu einem Pakt mit Gabriel hinreißen lassen, um seine in der Hölle verlorene Erinnerung zurückzuerhalten. Und es hatte lange gedauert, bis der Teufel ihn überhaupt hatte wissen lassen, welche Gegenleistung er von dem ehemaligen Hüter der Vampire, den er im Zentrum des wahren Stonehenge zu seinem »Ritter« geschlagen hatte, erwartete.
Die Befreiung der Archonten war es gewesen.
Damit,
dachte Sardon, den Blick an Jada vorbei in die kahle Steppe gerichtet,
habe ich meine Schuld abgetragen. Aber bin ich auch wieder frei?
»Nebel kommt auf.«
Im ersten Moment hielt er den Ruf des Fahrers für einen dummen Scherz. Doch fast zeitgleich seufzte Jada verklärt, krallte ihre Finger in die Lehne des Vordersitzes und begann wie Espenlaub zu zittern.
Bevor Sardon sie zur Rede stellen konnte, bemerkte er, dass sämtliche Archonten ähnliche Symptome zeigten. Und dann verschwand der Bus auch schon in der widernatürlichen Nebelbank, die in glühender Sonne aufgetaucht war, in einer Landschaft, die kaum genug Feuchtigkeit besaß, um die Gräser, die den Boden wie schütteres Haar bedeckten, am Leben zu erhalten!
Von Anfang an war klar, dass es sich um ein magisches Phänomen handelte. Und so war Sardon wenig überrascht, als aus dem wabernden Weiß heraus, das die Buskabine wie Rauch füllte und an den Körpern der Archonten wie mit Zungen hochleckte, die vertraute Stimme Gabriels wisperte: »Du hast es also geschafft. Aber ich habe auch nie daran gezweifelt.«
Ich schon,
dachte Sardon, als Gabriel ihn indirekt daran erinnerte, dass das entartete Siegel im Weißen Tempel ihn beinahe umgebracht hätte.
Und während der Bus weiter das wabernde Weiß durchpflügte, erreichte Sardon ein Ruf aus anderem Mund: »Geliebter!«
»Rona!?«
»Liebe muss etwas Wunderbares sein«, raunzte Gabriel. »Zeit, euch wieder zusammenzubringen.«
Dann fühlte sich Sardon von einer Titanenfaust erfasst –
ZZZUUUWWW!
–, und die tagelange Reise durch Hitze und Staub hatte ihr abruptes Ende
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