BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
bevor er weit hinter sich Geräusche vernahm, die von Verfolgern kündeten. Aber es kam ihm vor, als würde er sie hören, kaum dass Semiramis' Stimme verhallt war.
Er rannte scheinbar endlos durch die Felder und dann noch ewig lange über fast freie Flächen, auf der ihm nur vereinzelte Sträucher und Bäume Sichtschutz boten, bevor er die Sümpfe erreichte. Ein paarmal drehte er sich im Laufen um, doch er sah niemanden, der ihm folgte. Was nicht bedeuten musste,
dass
ihm niemand folgte.
Agamemnon rannte weiter, und als wäre das Schicksal zur Abwechslung einmal auf seiner Seite, fand er mit jedem Schritt festen Boden, obwohl er immer tiefer in das Sumpfland eindrang.
Seine Lungen brannten längst, als würde er flüssige Lava atmen, und in seinen Lenden bohrte ein Schmerz, als würden ihm fortwährend Messer hineingetrieben.
Doch er verlangsamte sein Tempo nicht.
Niemals!
schrie es in ihm.
Ihr kriegt mich nicht! Verdammte Blutsauger!
Der Geruch und die Geräusche der Sümpfe nahmen ab. Nach einer Meile nahm Agamemnon sie überhaupt nicht mehr wahr. Und nach einer weiteren Meile erreichte er Baumwollfelder, nicht viele und nicht besonders groß. Sie gehörten demnach nicht zu einer Großplantage, eher wurden zu einer kleineren Farm.
Minuten später entdeckte Agamemnon in der Ferne ein Licht. Der Anblick weckte irgendwelche Restkräfte in seinem ausgelaugten Körper. Sie genügten, um ihn jenem anheimelnden Schein in der Nacht nahe kommen zu lassen. Aber nicht, um es zu erreichen.
Ein paar Schritte vor dem Farmhaus gaben seine Beine unter ihm nach.
Agamemnon hörte einen Hund kläffen, immer lauter, spürte heißen, hechelnden Atem im Nacken.
Dann rief ein Mann einen scharfen Befehl in die Nacht.
Und dann verschlang die Nacht Agamemnon und alles um ihn herum.
Die Verlorenen, Teil 2
Die Nacht war noch nicht zu Ende, als Agamemnon erwachte.
Das Licht zweier Kerzen drängte die Dunkelheit so weit zurück, dass er das Bett erkennen konnte, in dem er lag – und die vier Gesichter, die auf ihn herabsahen.
Das Gesicht des Mädchens sah dem der Frau ähnlich, das des Jungen dem des Mannes. Eines war ihnen gemeinsam: Sorge. Die nun allerdings von stummer Erleichterung abgelöst wurde.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte die Frau. Agamemnons Lebensgeister erwachten nur zögernd und offensichtlich einer nach dem anderen. Jedenfalls passten die Stimme und die Bewegung des Mundes der Frau für seine Blicke noch nicht zusammen. Ihre Lippen schienen sich noch zu bewegen, als die Stimme längst verklungen war und Agamemnon selbst schon zu einer Antwort ansetzte.
»Es geht... Wo bin ich? Wie...?«
»Ruhen Sie sich aus«, sagte der Mann. Mundbewegung und Worte begannen zu harmonieren. »Wir haben Sie draußen gefunden und hereingebracht.«
Agamemnon nickte.
»Danke, Sir... Master.«
»Vergessen Sie den Sir und den Master«, sagte der Mann mit dem jungen, freundlichen Gesicht. »Ich bin Frank.« Er wies auf seine Frau, dann auf seine Tochter und seinen Sohn. »Kathy, Lucille und Frank junior, alle mit Nachnamen Shaugnessy.« Er fuhr sich mit der Hand durch das kupferfarbene Haar. »Wir stammen aus Irland. Und wir hassen Sklavenhalter.«
Erst jetzt fiel Agamemnon der Dialekt des Mannes auf. Er sprach Englisch, natürlich, doch er tat es nicht wie die La Forés und die anderen Südstaatler, die er kannte.
»Warum haben Sie sich dann nicht im Norden niedergelassen?«, fragte er.
Frank Shaugnessy grinste. Freundlich. Agamemnon hatte lange keinen Weißen mehr auf diese Art grinsen sehen. Eigentlich noch nie.
»Dort hätte ich nur einen Job in einer Fabrik bekommen. Deswegen sind wir aber nicht ins gelobte Land gekommen. Wir wollen frei leben, von dem, was wir mit Gottes Hilfe und seiner Schöpfung erreichen können. Und das kann man überall dort, wo Gott gegenwärtig ist. Also auch im Süden der Vereinigten Staaten von Amerika«, behauptete Frank.
Agamemnon war zu erschöpft, um ihm zu widersprechen. Bleierne Schwere kroch in seinen Beinen hoch und weiter.
»Sind Sie ein entflohener Sklave?«, fragte der rothaarige Junge. Seine Augen leuchteten.
Agamemnon nickte nur, die Lider halb geschlossen.
»Sie sollten versuchen, in den Norden zu kommen. Dort wären Sie sicher. Wir werden Ihnen dabei helfen«, meinte Kathy.
»Aber nicht heute«, erklärte Frank. »Heute Nacht sind Sie auch bei uns sicher... Wie ist Ihr Name?«
»Agamem...«, setzte der Schwarze fast tonlos an, doch dann besann er sich, dass
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