BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
seinem Vorbild zu folgen. Und
niemand
hatte es je fertig gebracht, einem anderen, erst hier entdeckten und gereiften Talent nachzueifern.
Chiyoda war ein Wanderer zwischen den Wirklichkeiten geworden.
Mit derselben Leichtigkeit, wie andere aus einem Haus hinaus in einen Garten traten, überwand er die Schwellen zu Welten, die
neben
der seinen existierten.
Unverwirklichte, verworfene Ideen eines Gottes...
Zumindest war dies Chiyodas persönliche Interpretation der Dinge.
Amüsiert verließ er einen warmen Sommertag und tauchte hinein in stürmischen Herbst. Unter seinen Füßen knisterte Präriegras. Der Himmel hing tief.
Erstaunt blieb der dürre kleine Chinese stehen, als sein Blick auf einen selbst im Sitzen stolz wirkenden Indianer fiel, nur wenige Schritte entfernt. Uralte, in faltige, rötliche Haut gebettete Augen sahen ihn an, und eine brüchige Stimme fragte: »Bist du hier zu Hause?«
Chiyoda nickte seltsam berührt. »Bisweilen«, sagte er.
»Dann musst du mir sagen, wo ich hier bin«, bat Makootemane...
Der Hüter und das Kind
Alaska, vor einigen Wochen
Nathan Tulliver hatte geglaubt, alle Gesichter des Todes zu kennen. Sein Irrtum wurde ihm an diesem Morgen vor Augen geführt – auf drastische Weise.
Der Leichnam lag zu seinen Füßen, Blut hatte den Schnee ringsum dunkel gefärbt, beinahe schwarz. Blut aus grässlichen Schusswunden, die den Körper regelrecht zerrissen und verheert hatten.
Doch das war nicht das eigentlich Schlimme an dem Anblick. Als viel furchtbarer empfand Tulliver die zuckenden Bewegungen, die den Toten durchliefen – und die Tatsache, dass er sich erhob.
Schüsse hatten Nathan Tulliver im Morgengrauen aus dem Schlaf gerissen, doch der alte Inuit war nicht sofort aus dem Bett gesprungen. Als er schließlich doch durchs Fenster seiner Hütte hinaus in das trübe Zwielicht des jungen Tages spähte, waren die Schüsse längst verklungen. Stille hatte sich wie eine alles erstickende Wolke über Nuiqtak gelegt. Eine Wolke, die dem Alten vorgekommen war wie der Hauch des Todes, der sich zwar unsichtbar, aber dafür umso deutlicher
spürbar
auf eine Stelle da draußen im Schnee konzentriert hatte: Das jungfräuliche Weiß war dort besudelt und etwas Dunklem gewichen, und in der Mitte jenes Fleckes lag etwas.
Jemand
...
Nathan Tulliver hatte seine Hütte nicht durch die Vordertür verlassen, sondern durch den Anbau, in dem sich seine Werkstatt befand. Dort hatte er im Vorübergehen seine Krummaxt aufgenommen. Normalerweise bearbeitete er damit Holz, schuf Kanus und Totempfähle daraus und hatte sich so den Ruf eines wahren Meister-Schnitzers seines Landes buchstäblich erarbeitet. Doch die Axt würde ihm heute vielleicht zum ersten Mal nicht nur als Werkzeug gute Dienste leisten...
Leise war der Inuit aus der Werkstatt getreten und hatte seine Umgebung mit Blicken sondiert, so gut es die Morgendämmerung zuließ. Dann erst, als er keine Bewegung oder sonst etwas Verdächtiges wahrgenommen hatte, hatte er sich vorsichtig – und mit dennoch zum Schlag erhobener Axt – jener Stelle inmitten seiner »Sammlung« eindrucksvoller Totempfähle genähert, wo er vom Fenster aus den reglosen Körper entdeckt hatte.
Reglos war der fürchterlich zugerichtete Tote auch geblieben, als Nathan Tulliver ihn erreicht hatte.
Drei oder vier Sekunden lang.
Dann hatte der Leichnam begonnen, sich zu bewegen.
Tulliver hätte es für ein Wunder gehalten. Wenn er nicht mit jeder Faser seines Leibes und Seins gespürt hätte, dass etwas ganz und gar
nicht
Wunderbares
der »Beweggrund« war!
Kälte fraß sich mit tausend winzigen, mörderisch spitzen Zähnen unter die Haut des Alten und tiefer. Eine Kälte, die allem hohnsprach, was Tulliver je an Minustemperaturen erlebt hatte. Sie ließ ihn nicht einfach nur frieren, sondern ummantelte alles in ihm mit wahrhaft
beißendem
Frost, der sich in eisigen Blitzen tief in jede Zelle verästelte. Und doch war die Angst,
daran
zu sterben, geradezu lächerlich gering im Vergleich zu jener, die ihm der bloße Anblick des »Toten« bescherte.
In den Wunden, die vor nasser Schwärze glänzten, rührte sich etwas. Als würden Metastasen in widernatürlicher Geschwindigkeit darin wuchern, um die finsteren Löcher zu füllen und zu schließen.
Und nichts anderes tat die schwammige Bewegung...
Der grauenhafte Prozess ging einher mit ekelhaft feuchten und schmatzenden Lauten, die dem Inuit schier in den Ohren dröhnten, in seinen Gedanken
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