BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
gut«, erwiderte Giuseppe. Und für den kleinsten Teil einer Sekunde wunderte er sich, weshalb er das Thema so einfach abhakte. Er hatte doch etwas ganz anderes sagen wollen, aber... Egal, es war nicht wichtig.
Livia stand auf und trat zu ihm. Sie barg ihr Gesicht an seiner Brust, er senkte das seine in ihr schwarzes Haar.
»Vielleicht ist er der Sohn, den wir uns immer gewünscht haben«, flüsterte sie. »Vielleicht hat Gott ihn uns geschickt...«
Giuseppe nickte.
»Ja, vielleicht...«
Hätten sie in diesem Moment in die Augen Gabriels gesehen, so hätten sie erkannt, dass keinesfalls Gott es gewesen sein konnte, der ihnen den Knaben geschickt hatte...
Indien
Wie bei jedem seiner vorherigen Besuche empfand Sardon die indische Hauptstadt Delhi als gefräßigen Moloch, als Monstrum, das selbst ihm – nun, nicht wirkliche Furcht, aber doch ein Unbehagen verursachte, das sich nicht einfach abstreifen ließ.
Womöglich lag der Grund auch darin, dass Sardon hier in Delhi eine seiner vielleicht größten, in jedem Fall aber eine seiner bittersten Niederlagen bereitet worden war.
Die hiesige Sippe hatte sich vor gar nicht langer Zeit unter der Führung Tanors gegen ihn erhoben und ihm seine ureigensten Geheimnisse entrissen. Bis dahin hatte kein Vampir der Welt gewusst, dass der mysteriöse Kelchhüter von einst und Sardon ein- und dasselbe Wesen waren. Niemand hatte irgendetwas über Sardon gewusst – bis die Delhi-Vampire sein Innerstes nach außen gekehrt hatten. Und fast musste er ihnen dankbar sein, dass sie ihm »nur« seine Geheimnisse genommen hatten. Denn es wäre ihnen damals ein Leichtes gewesen, ihm
alles
zu nehmen...
Während Sardon durch die engen, nachtdunklen Gassen der alten Kernstadt am Rande der Ganges-Ebene ging, ertappte er sich bei dem geheimen Wunsch, sie
hätten
es getan. Wie viel wäre ihm erspart geblieben! Und die Alte Rasse wäre womöglich nie wirklich untergegangen...
»Verdammt!«, mahnte der Hüter sich selbst zur Ordnung und vertrieb das Gift aus seinen Gedanken. Solche Überlegungen waren nicht nur frevelhaft, sondern demütigend und selbstzerstörerisch. Und Delhi war gewiss nicht der Ort, an dem er sich neuerliche Schwächen erlauben durfte. Obschon er Tanor nach den damaligen Ereignissen zu seinem Freund, zumindest aber zu seinem Verbündeten erkoren hatte – weil er mit seinem frischerworbenen Wissen andernfalls zu Sardons Feind geworden wäre...
Der Hüter war sich selbst nicht ganz im klaren, weshalb er den langen Weg zum verborgenen Versammlungsort der Delhi-Sippe (es bereitete ihm selbst in Gedanken noch Mühe, von seinem Volk nicht mehr in der Größenordnung von Sippen denken) wählte. Schneller wäre er gewesen, hätte er die Strecke in Fledermausgestalt zurückgelegt. Doch er hatte es nicht sehr eilig, und zudem ließ die solchermaßen gewonnene Zeit sich nutzen, um eigenen Überlegungen nachzugehen. Auch wenn er sich dabei auf Gedankenpfaden bewegte, die er in den vergangenen Wochen und Monaten bereits hundert Mal und öfter beschritten hatte – ohne indes wirklich zu einem Ziel zu gelangen oder auch nur tatsächliche Antworten zu finden.
Seine Hand senkte sich unbewusst in den ledernen Beutel und strich über die poröse Oberfläche des Lilienkelches, als er einmal mehr über den todbringenden Keim, der darin saß, nachsann. Natürlich, für sich war er zu der scheinbaren Überzeugung gelangt, dass nur Gott selbst ihn hinein gesät haben konnte. Aber akzeptierte er diese Möglichkeit nicht nur deshalb, weil sie ihn selbst unberührt ließ, seine Schuld an den Dingen in einem geringen Maße hielt?
Denn es gab noch eine andere Möglichkeit, die nicht aufhörte, in Sardons Kopf umher zu spuken. Eine, die ihn selbst sehr viel mehr betraf, die ihm letztlich alle Schuld aufbürdete: War der Keim, der den Tod über die Sippen gebracht hatte, vielleicht die Strafe für ihn – den Mutter-Mörder? Mussten alle Kelchkinder für seine Untat büßen, nachdem er in ferner Zeit und doch erst »gestern« jene Macht gemeuchelt hatte, die hinter allem vampirischen Sein gestanden hatte: Heaven, Adams erstes Weib und die Mutter all derer, die später zu Hütern des Kelches geworden waren und noch geworden wären?
Sardon verbannte den Gedanken in die finstersten Tiefen seiner schwarzen Seele.
Nicht an diesem Ort
, rief er sich zur Räson,
nicht in dieser Stadt, in der selbst dunkelste Geheimnisse unversehens ins Licht gerissen werden können...
Er ließ die selbst
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