BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
für ihn bedrückende und gleichsam erstickende Atmosphäre der dunklen Winkel Delhis hinter sich, als er ans Ufer des Ganges trat. Übelriechende Dämpfe absondernd, wälzte sich der breite Strom träge zu seinen Füßen. Weder die Lichter der Stadt noch die der Sterne brachen sich auf der tiefschwarzen Oberfläche, als würde der Fluss selbst sie gierig verschlingen, so wie er die darin Badenden nach hiesigem Glauben auch von ihren Sünden reinwusch.
Womöglich, dachte Sardon, war in diesem Glauben ja tatsächlich ein Körnchen Wahrheit. Und vielleicht ruhte der kloakenartige Gestank ja daher...
Der Hüter lächelte perfide.
Um wie viel schlimmer müsste er dann erst werden, wenn er selbst, Sardon, in die Wasser des Ganges gestiegen wäre...?
Sein Lächeln mutierte zur Fratze, als sein Gesicht sich verwandelte, und mit ihm der Rest seines Körpers. Er schrumpfte binnen eines Lidschlages, verkrüppelte auf unmögliche Weise und wurde zu dem einer Fledermaus. Auf ledrigen Schwingen stieg er auf in die Nacht und flatterte über den Fluss hinweg, um ein Stück hinter dem jenseitigen Ufer niederzugehen, im Schatten jener Moschee, deren Anblick unselige Erinnerungen in ihm zu neuem Leben beschwor.
Sardon zerschlug sie mit einem geistigen Hieb, der so hart war, dass er selbst unter der Gewalt aufstöhnte.
Dann erst ging er um das im Vergleich mit anderen seiner Art wenig auffällige Bauwerk herum und drückte die goldbeschlagenen Tore auf. Unweigerlich dachte er daran, wie er die Moschee beim letzten Mal betreten hatte, kurz nach dem ersten missglückten Kelchritual in Kairo. Ein Bild von grauenhafter Abartigkeit hatte ihn erwartet – blutspeiende, sich vor Schmerz und dürstender Qual windende Kelchkinder erfüllten das Szenario; die ersten Auswirkungen des Kelchkeimes hatten sich gezeigt und dem Hüter auf ewig ins Gedächtnis gebrannt.
Heute indes bot sich ihm der von früher gewohnte Anblick dar. Die Räume der Moschee waren leer, nur erfüllt von unheiliger Stille, die wie etwas Greifbares in ihnen lag. Und doch war diese Leere anders als zuvor – auf seltsame Weise wirklicher, tatsächlicher. Weil nichts von dem zu spüren war, das früher
hinter
ihr gelauert hatte; oder vielmehr
unter
ihr.
Sardon senkte den Blick. Das Geheimnis der Moschee hatte sich einst unter den kunstvollen Mosaikböden befunden. Ob es heute noch so war, wusste er nicht. Vielleicht hatte Tanor sich nach dem Tod seiner Sippe ja zurückgezogen...
»Du?«
Das eine Wort ließ die Stille zerbrechen und hallte wie der Schlag einer mächtigen Glocke durch die Moschee.
Sardon sah auf.
Tanor war lautlos wie ein Schatten unter einen der Rundbögen am jenseitigen Ende dieses größten Raums getreten. Er hatte sich nicht verändert seit ihrer letzten Begegnung: Wie stets war er nach alter Yogi-Sitte gewandet, sein Schädel blank wie polierter Stein.
»Ja, ich«, erwiderte Sardon, nur um das eisige Schweigen zu brechen.
Tanor machte keine Anstalten, näherzutreten.
»Was willst du hier? Dich davon überzeugen, ob du ganze Arbeit geleistet hast,
Narr
?«
Sardon hatte Mühe, unter den anklagenden, beleidigenden Worten des anderen nicht sichtlich zusammenzuzucken. Und ebenso schwer fiel es ihm, dem Delhi-Oberhaupt nicht kurzerhand an die Kehle zu springen für seine Frechheit. Die Dinge hatten sich verändert, Sardons Macht war nicht mehr von jener Größe, unter derer bloßen Präsenz sich einst alle geduckt hatten. Nicht mehr – oder
noch nicht wieder
; diese Formulierung gefiel Sardon um vieles besser...
»Wessen beschuldigst du mich?«, knurrte Sardon, seinem Mühen um Beherrschung zum Trotz ungehalten. »Alles versucht zu haben, um unsere Rasse vor der völligen Degeneration zu bewahren?«, fuhr er im selben Ton fort. »Alles getan zu haben, um den Untergang abzuwenden? Wenn du das tust, dann sind dies wahrlich 'Vergehen', für die ich mich gerne anprangern lasse! Denn damit habe ich mehr für die Alte Rasse getan als alle anderen! Dich eingeschlossen, Tanor!«
»Dennoch hast du unserer glorreichen Rasse nichts anderes gebracht als den Tod«, erwiderte Tanor. Das Lächeln seines schmallippigen Mundes jedoch war ein Zeichen dafür, dass er Sardon nicht wirklich des Mordes an ihrem Volk anklagen wollte.
»Wie hätte ich es verhindern können?«, fragte Sardon, durch die versöhnliche Geste des anderen selbst ein wenig besänftigt. »Nichts wies darauf hin, welche katastrophale Folge der Einsatz des Kelches nach sich ziehen
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