Bad Hair Days - das Leben ist keine Dauerwelle
wäre, wenn Mum Onkel Zé geheiratet hätte statt Tante Lilah und er mein Dad wäre. Wäre dann mein Leben besser als jetzt? Einfacher vielleicht. Aber es würde keinen Billy geben.
Zielstrebig marschierte ich zum Park. Ich brauchte Raum, um meine Gedanken zu ordnen. Schuldbewusst dachte ich an Billy, der in der Wohnung oben auf mich wartete, während ihm das Wasser aus den Haaren in die Augen tropfte. Er würde eine Ewigkeit so dasitzen, in genau derselben Haltung, bis ihm endlich aufging, dass ich abgehauen war. Meine letzten Worte an ihn waren gewesen: »Beweg dich ja nicht, wenn dir dein Leben lieb ist!«
Als ich den Park erreichte, hatte ich bereits zwei entgangene Anrufe auf meinem Handy und eine SMS . Die Anrufe waren von Billy – wahrscheinlich wunderte er sich, wo ich abgeblieben war. Die SMS war von einer Nummer, die ich nicht erkannte. Und die Nachricht lautete:
Alles okay? Wasnlos? Tony
Tony Cruz hatte meine Handynummer. Er textete mir!
Ich ignorierte ihn, und Billy ebenfalls. Ich brauchte jetzt etwas Zeit und Raum für mich.
Inzwischen nieselte es. Der Himmel war hässlich grau und die Straßen sahen schmutzig und heruntergekommen aus. Ich hatte keinen Regenschirm dabei und war froh, dass ich mich für den Zopf entschieden hatte. Er löste sich in der Nässe nicht auf.
Die 50-Pence-Frau ging breit grinsend an mir vorbei. Sie hielt zwei Softeistüten in der Hand und der Regen schlug Dellen in die perfekt gequirlten Spitzen. Ich steuerte den verlassenen kleinen Spielplatz an der Ecke des Parks an und setzte mich auf das Karussell. Früher war ich jeden Tag nach der Schule hierhergekommen und hatte wahrscheinlich irgendwann geglaubt, es wäre mein Privatspielplatz. In Wahrheit war es eine schäbige Anlage – ungepflegt und voller Graffiti. Unten am Fuß der Rutsche, wo abends die größeren Kids saßen und rauchten, lag alles voller Zigarettenkippen.
Es gab eine Zeit in meinem Leben, als dieser Spielplatz der Mittelpunkt all meiner Abenteuer und Spiele war. Shonna und ich lagen oft auf diesem Karussell – den Kopf auf den Fußstützen und die Füße über die Sitze drapiert – und redeten stundenlang, während die anderen Kinder auf- und absprangen und uns immer schneller herumwirbeln ließen. Wir malten uns aus, was wir später mal werden wollten, Popstars oder Friseurinnen oder Tierärztinnen, wen wir heiraten und wie viele Kinder wir kriegen wollten, wie sie heißen würden und wie viele Brautjungfern wir haben und wie unsere Männer aussehen würden. Und wenn wir genug davon hatten, redeten wir über unsere Väter, die Feuerwehrmänner oder vielleicht auch Soldaten waren – auf jeden Fall waren sie stark und mutig, egal welchen Beruf sie hatten.
Das Komische war nämlich, dass Shonna auch keinen Dad hatte. Ich meine, klar hatte sie einen, so wie jeder Mensch auf der Welt, aber Shonna hat ihren Dad nie gekannt und auch nie wirklich gesehen. Shonnas Eltern waren zusammen auf der Highschool. Mit sechzehn heiratete Jeanette Shonnas Dad und er verschwand, als Shonna noch ein Baby war. Eines Winternachmittags marschierte er aus dem Wettbüro an der Ecke der Park Road und kam nie mehr zurück. Von diesem Tag an waren Shonna und ich in unserer Vaterlosigkeit vereint.
Ich wunderte mich immer, wenn Shonna diese Geschichte erzählte, dass niemand in ihrer Familie je auf die Idee gekommen war, nach ihm zu suchen. Aber wenn Shonna mal zu Hause ihren Dad erwähnte, zog ihre Oma heftig an ihrer Zigarette und brummte vor sich hin: »Was für ein Glück, dass er fort ist. Was Besseres hätte uns gar nicht passieren können.« Es schien auch niemanden zu kümmern, dass er einfach verschwunden war, außer Shonna, die sich pausenlos den Kopf über ihn zerbrach.
Eines Tages, wir hatten gerade in der Neunten angefangen, tauchte er wieder auf. Nicht bei Jeanette, aber er war in der Bethnal Green Road gesehen worden und hing angeblich im »Blinden Bettler« in Whitechapel herum. Kaum hatten wir das erfahren, saßen Shonna und ich im 388er-Bus nach Bethnal Green und liefen mit einem fünfzehn Jahre alten Familienfoto auf und ab, das wir mit den Gesichtern der mittelalten Männer auf den Straßen verglichen. Wir gingen sogar in einen verlotterten Altmänner-Pub, in dem Shonnas Onkel sich volllaufen ließen. Als wir sie fragten, schauten sie genauso angewidert wie Shonnas Oma und behaupteten, dass sie ihn nicht gesehen hatten, aber das war wahrscheinlich gelogen.
Wir hörten nichts mehr von ihm, bis letzten
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