Bad Hair Years
du und ich … Es gibt da einen anderen. Er heißt Juli
Januar ist der anstrengendste Monat, den es gibt. Ich kann ihn nicht leiden, er überfordert mich, er geht mir auf die Nerven, seit ich denken kann. Wie der schon anfängt. Nicht pünktlich leise und grau, wie es sich für einen Wintermonat gehört, nein, der Januar kann es nicht abwarten und stresst gleich nach Weihnachten rum. Noch unter Zuckerschock muss man sich einem Partyentscheidungsterror stellen, der seinesgleichen sucht. So viel Energie hat kein Mensch, nicht nach Weihnachten. Was andererseits erklärt, warum sich relativ schnell immer jemand mit »Ja, Herrgott, dann lass uns halt erst mal bei mir gemütlich essen …« geschlagen gibt. Wenn er dann richtig anfängt, um 00:00 Uhr, dann auch noch zu laut, zu emotional, zu betrunken und voller guter Vorsätze. Plötzlich wollen alle gesund und vernünftig sein, nehmen mir den Platz im Fitnessstudio weg und kümmern sich um Erwachsenenkram wie Versicherungen und Steuer. Jedes Jahr wieder lasse ich mich anstecken. Dieses Mal wollte ich ganz klassisch mit dem Rauchen aufhören, weil ich langsam zu alt dafür werde. Allerdings habe ich das nicht richtig zu Ende gedacht, es bedeutet nämlich, dass ich nicht mehr rauchen darf. Ich habe deshalb beschlossen, nicht mehr älter zu werden, denn das nervt noch ein bisschen mehr. Ich werde dieses Jahr also so alt wie letztes Jahr. Nein, wie vor zwei Jahren, bitte notieren. Damit lenke ich mich natürlich nur davon ab, dass ich immer noch arbeits-, richtungs- und langsam auch hoffnungslos bin. Als wäre das alles noch nicht anstrengend genug, spiegelt der Januar auch noch falsche Tatsachen vor. Es heißt »alles neu macht der Mai«, nicht »alles neu macht der Januar«. Hört denn keiner genau hin! Bitte, hab ich doch noch Zeit.
Trotzdem macht man jedes Jahr immer wieder alles, damit es einem gut gesonnen ist, das Neue Jahr. Das geht schon in der Silvesternacht los. Rote Unterwäsche zum Beispiel soll Glück bringen. Vor Jahren habe ich das mal gelesen, konnte meine Klappe nicht halten, und seitdem tragen wir alle rot drunter, also die Frauen. Solange es nicht aus billiger Polyesterspitze besteht, mag das eine schöne Überraschung für die Männer sein, aber Glück hat mir das noch keines gebracht. Ich werde deshalb ganz uneigennützig dieses Jahr ein für alle Mal das Gegenteil beweisen und trage, trotzig und draufgängerisch wie ich bin, schwarz. Also, zur Hälfte. Halb schwarz, halb rot, ganz trau ich mich nicht.
»Wirst schon sehen, was du davon hast!«, grinst das Glück und steigt ins Auto, um sich um Gläubigere zu kümmern. »Fünfzig Prozent«, schreie ich ihm nach, »du schuldest mir fünfzig Prozent! Und ich will die Hälfte mit dem tollen Mann, das mit dem tollen Job mach ich selber!« Gott, ich hoffe, es hat mich noch gehört.
Besitzt man keine roten Dessous, ist das nicht weiter tragisch. Man muss deshalb nicht schnell noch La Perla dreihundert Euro in den Rachen werfen und sich mit Unterwäschefachverkäuferinnen rumschlagen. Alternativ kann man von einem Stuhl springen, also ins Neue Jahr hüpfen. Spitzenidee, mit 1,5 Promille von einem Stuhl zu springen. Ich möchte mal wissen, wer sich so was ausdenkt, aber auch das soll Glück bringen. In meiner Welt bringt so etwas einen abgebrochenen Absatz vom Lieblingsstiefel und sonst nichts. Seither trage ich Silvester nur noch flache Schuhe. Das bewährt sich auch beim Treppen Runterlaufen oder dem einzig freien Taxi Hinterhersprinten. Man hat einfach besseren Halt.
Hat man keine Begleitung, die auf rot mit »uh, Baby« reagiert und ist man sowieso eher unsportlich, kann man Tarotkarten befragen. Das war mir neu. Die bringen zwar nicht unbedingt Glück, weisen einem aber den Weg, der ja anscheinend das Ziel ist, heißt es. Man muss, so wird mir erklärt, die Quersumme aus Geburtstag und aktuellem Jahr basteln und dann die entsprechende Karte raussuchen. Ich kann nicht rechnen, und seit meinem letzten Decluttering-Anfall besitze ich keine Tarotkarten mehr. Das sollte man im Übrigen lassen, dieses gnadenlose Wegschmeißen. Jahre später steht man revivalgeplagt im Keller und murmelt »aber ich weiß genau , dass ich« – hier bitte aktuelles Retrozeug einfügen – »hatte«. Egal, ich habe Freunde mit Tarotkarten, die rechnen können, und dieses Jahr bin ich die Nummer elf. Die Karte heißt Lust, das passt mir schon mal sehr gut in den Kram. Ich kann mich nicht mehr an alles erinnern, es klang
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