Bad Hair Years
mir nur so over. Ungefähr so out wie dieser Rock, den ich da gerade aus lauter Verzweiflung angezogen habe. Ich verliere noch mehr wertvolle Zeit mit ratlos auf der Bettkante sitzen, dann rette ich mich mit einer seriösen Hochsteckfrisur, dezentem Make-up und hohen Schuhen. Ich habe nicht umsonst jahrelang Frauenzeitschriften gelesen.
»Hol das Auto, du blöde Kuh«, denke ich im Bus. »Nimm ein Taxi, du blöde Kuh«, denke ich in der U-Bahn. »Kannst knicken«, denke ich in der S-Bahn und versuche, mich in mein Schicksal zu fügen, schaue aber trotzdem alle drei Sekunden auf die Uhr. Es ist mir unbegreiflich, wie mir das passieren konnte, ich gehöre zu den pünktlichsten Menschen der Welt. Leider gehöre ich auch zu den Menschen, die Unpünktlichkeit in die Raserei treibt und die das auch lautstark kundtun. Predigende Veganer beim Grillabend sind ein Dreck dagegen.
Dummerweise gehöre ich nicht zu den Menschen, denen in Krisensituationen ein Superwoman-Schub oder buddhistische Gelassenheit vergönnt ist, ich werde ja schon auf der Yogamatte ungeduldig. Ooom (Wäsche waschen!) Shanti (Rechnungen zahlen!) Oooom (Mama anrufen!)Aber es hilft ja nichts, ich kann schlecht den S-Bahn-Fahrer überwältigen, um selbst aufs Gas zu treten, und so hautenge Latexanzüge stehen mir auch überhaupt nicht. Gnade mir Gott, wenn mal ein Rudel Wölfe hinter mir her ist oder Gangster mit Kanonen. Einen Scheiß wird Gott mir gnaden, ich bin vor Jahrzehnten aus der Kirche ausgetreten, und jetzt steh ich hier, mit meinen Acht-Zentimeter-Absätzen, im Baustellendreck. Und bin zu spät. Dreck.
Ich habe noch exakt vier Minuten, mein Kalender mit der genauen Adresse und dem Namen des Chefs in spe liegt zu Hause. Diese Art Unorganisiertheit mag verwunderlich bei einer Spitzensekretärin wie mir erscheinen, ist es aber nicht. Schließlich weiß ich genau, wo zu Hause der Kalender liegt, und solches Wissen hat mir schon mehr als einmal den Arsch gerettet, ich kann nur nicht erklären wie. Zudem kann ich ganz gut Erwartungen erfüllen, wenn auch nur dem Anschein nach, auch das hilft.
Meine einzige Orientierungshilfe ist ein überdimensionales Firmenschild, das in der Ferne über den Baukränen hängt, definitiv weiter als nur fünf Gehminuten entfernt und zudem das falsche. Wenn allerdings die einen da hinten sind, dann sind die anderen nicht weit. Weil ich weiß, dass auf meine Logik selten Verlass ist, frage ich zur Sicherheit die Frau, die neben mir aus der S-Bahn steigt. Sie hat Turnschuhe an und sieht sehr zielstrebig aus.
»Doch doch, dahinten«, antwortet sie freundlich, »fünf Minuten ungefähr.«
Ich habe minus eine Minute, ich muss mein Handy noch ausschalten, meinen Charme muss ich noch anschalten, meine Frisur löst sich, ich muss pinkeln, und schlecht ist mir auch.
Trotzdem schaffe ich es eine Minute vor zapp in den Fahrstuhl, und zwar mit dem Chef. Das allerdings wird mir erst klar, als er mich zwei Minuten später in seinem Büro mit »Ja, wir sind ja eben zusammen raufgefahren« begrüßt. Genauso gut hätte er »Hola! Sind Sie immer so knapp dran?« sagen können. Da sitze ich nun und lehne höflich den von der Sekretärin angebotenen Kaffee ab. Aus gutem Grund. Hätte ich »Ja, sehr gerne, Cappuccino ohne Zucker« geantwortet, sie wäre mit Sicherheit fluchend hinter der Tür verschwunden: »Jetzt will die auch noch Kaffee, die blöde Tussi, als hätt ich nichts anderes zu tun.«
Das dachte ich nämlich auch immer, und warum will ich eigentlich diesen Job, wo ich so was wieder denken und machen muss, das wollte ich doch gar nicht mehr? Ach stimmt, wegen Geld.
»Wissen Sie, ich brauche jemanden, der mich organisiert«, so spricht der Chef, und die Personalfrau nickt mir aufmunternd zu. Das professionelle Stück setzt sein verständnisvolles Lächeln auf. Natürlich, Chef, sofort. Organisieren bedeutet nichts weiter als: »Buchen Sie doch bitte den Wellness-Urlaub meiner Frau, und sorgen Sie dafür, dass meine Kinder rechtzeitig von der Schule abgeholt werden, ich will mit meinem ganzen Privatkram nichts zu tun haben.« Nichts leichter als das, Chef.
Und jetzt erklär mir mal einer, warum ich den Job nicht bekommen habe. Stattdessen lande ich nach gefühlten zweihundert weiteren Vorstellungsgesprächen in einer Unternehmensberatung, unter uns Tippsen auch bekannt als Hölle auf Erden. Sekretärin an sich ist schon schlimm genug, das Ganze auch noch unter Zahlenmenschen, für die Power Point und Excel das größte
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