Bad Moon Rising
unserer Nachbarin in Park Slope, Mrs Spears, forsch und barsch und stets mit einer eigenen Meinung, auch für mich, und stets sagte sie einem nicht nur, was du, sondern auch alle anderen auf der Welt tun sollten. »Ach, du liebe Güte, Talulla, es gibt doch gar keinen Grund, auf Lesbentum zurückzugreifen!« Wobei ich an dieser Stelle einräumen musste, dass ich mich mehr für Madeline interessierte als für einen der beiden Männer. Einerseits eine kleine erregend masochistische Eifersucht. Andererseits Verärgerung über etwas, das sich plötzlich anfühlte wie eine absurde (angesichts meiner anderen Aktivitäten superabsurde) anachronistische, bourgeoise Repression. Einerseits sexuelle Neugier, die bis auf Lauren zurückging. Andererseits nur das Gefühl, dass ich es auch jetzt probieren könnte, weil es sowieso früher oder später dazu kommen würde. Vor allem aber, weil Jake zwischen uns war. Himmel, er würde das lieben. Ich stellte mir vor, wie er sich mit einem Macallan, einer Camel und einem breiten Grinsen vor die Fernsehshow seines Nachlebens hockte: Und nun, etwas früher als angekündigt, äußerst scharfe lesbische Werwölfe in Aktion. Großes Pornokino. Wo ist die Zeitlupe an dieser Fernbedienung? Wo die Wiederholungstaste?
»Keine Sorge«, sagte Madeline und machte eine neue Packung Milch auf. »Lucy weiß, was sie tut. Die schaffen das schon. Außerdem hast du mir die ganze Sache noch gar nicht erzählt.«
Wie ich an Devaz und den verstorbenen Wilson geraten war, meinte sie, Werwölfe aus den Reihen der getreuesten WOKOP-Leute. Jakes Tagebuch hatte unglaublicherweise die Nacht überlebt, aber sie hatte es noch nicht gesehen. Das war auch nicht nötig. Ich kannte die entscheidenden Zeilen auswendig. Ich kannte den Text und die Szene: Ein Zimmer im Castle Hotel, Caernarfon, Nacht. Jake starrt Harleys Handy nach Harleys Nachricht an. Madeline kommt aus dem angrenzenden Bad herein, hat sich postkoital zurechtgemacht, steckt sich die Haare hoch:
»Schau dir das mal an, vielen Dank«, sagte sie, drehte den Kopf zur Seite und zeigte mir eine winzige Stelle auf ihrem biegsamen Hals. »Das ist ein Knutschfleck, oder nicht?«
Ich kannte die Szene nur zu gut, hatte sie unzählige Male gelesen, als endlich – dank Calebs Geschichte seiner Verwandlung – der Groschen gefallen war.
»Jake hat dir einen Knutschfleck verpasst«, erklärte ich, »in der Nacht in Caernarfon. Als Grainer und Ellis mit Harleys Kopf in der Tasche auftauchten.«
Ich schaute zu, wie sie sich zu erinnern versuchte. Bilder tauchten wieder auf, Jake mit ihr im Bett, ihr Gesicht mit dem mühsam erarbeiteten Ausdruck von professionellem Einverständnis. Anderswo in ihr wartete das kleine Mädchen (wie Cloquets kleiner Junge am Kai) auf das Wiedersehen, das niemals kommen würde. Vielleicht aber jetzt. Mein eigenes Kindheits-Ich hatte sich nicht sonderlich für das Ungeheuer interessiert. Es war das ältere Ich, das ausgeflippt war. Tatsächlich wirkte das Ganze wie die Rache des kleinen Mädchens: »Siehst du? Ich hab’s dir doch gesagt, so wird es kommen. All diese furchtbaren und wunderbaren Dinge.«
»Er hat dir einen Knutschfleck verpasst«, wiederholte ich. »Er muss gerade tief genug in die Haut gedrungen sein. Gleichzeitig hat der Antivirus, den sie ihm untergejubelt haben, gewirkt. Eine andere Erklärung gibt es nicht. In der folgenden Nacht hast du dich bei Vollmond verwandelt, genau wie er.«
Sie brauchte ein paar Minuten, um das alles zu verdauen. »Woher weißt du das alles?«
Die Wahrheit war nicht länger zu verheimlichen. »Er hat Tagebuch geführt.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Weiteres Grübeln. Varianten ihres Gesichts, die ihre Kunden nie zu sehen bekamen. Ihr ging etwas auf. »Schätze, er hatte nichts besonders Gutes über mich zu schreiben. Dummes Blondchen. Hat in ihrem ganzen Leben noch kein Buch gelesen.«
»Er hat geschrieben, er bedauert, dich nicht öfter geküsst zu haben.«
Das führte zu einem plötzlichen psychischen Verkehrsstau in ihr. Peinliche Berührtheit. Neugier. Stolz. Es würde noch eine Weile dauern, bis sie nicht mehr davon fasziniert war, was sie bei anderen Menschen auslöste.
»Du hast doch anderen keinen Knutschfleck verpasst, oder?«, fragte ich sie.
Sie schüttelte den Kopf, dachte noch immer darüber nach.
»Keiner, der einen Hang dazu hat?«
»Ich glaube nicht.«
»Die haben jetzt nämlich einen ziemlich hohen Preis. Nur dass du es weißt.«
»Wusste er davon?«
»Jake?
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