Bad Moon Rising
nochmal, Mikhail, Schluss damit. Schluss. « Ich versuchte ihm das Telefon abzunehmen. Es fiel hin. Als ich es aufhob, war die Leitung tot. Es klingelte sofort wieder.
»Bitte«, bettelte Mia. »Nicht. Nicht. Ich schwöre Ihnen, ich tue alles in meiner Macht Stehende. Die Fünfzig Familien suchen nach denen, und selbst die wissen nicht, wo sie sind.« Sie klang erschöpft. Der flehende Ton in ihrer ansonsten ruhigen Stimme klang schrecklich. Ich ließ Konstantinov stehen, nahm das Telefon mit nach oben und schloss mich in einem der Badezimmer ein. Ich wollte sie trösten, doch bis ich den Mund aufmachte, hatte sie sich wieder gefangen. »Tun Sie, was Sie für richtig halten«, erklärte sie. »Aber denken Sie daran: Ich sterbe nicht. Ich habe alle Zeit, Sie zu finden, Ihre Kinder, deren Kinder. Es wird sehr lange dauern, bis ich befriedigt bin. Und jetzt lassen Sie mich mit meinem Sohn sprechen.«
»Kommen Sie mit Ergebnissen, verdammt«, sagte ich. »Dann lasse ich Sie mit Ihrem Sohn sprechen. Wenn er bis dahin noch eine Zunge zum Sprechen hat.« Dann legte ich auf.
Ich schlief mit Zoë in ihrer Wiege neben mir, wenn ich denn schlief, nicht an die Decke starrte oder durch die Zimmer im Erdgeschoss streifte oder (natürlich: Wolf ist das egal) mich selbst befriedigte. Zehn Tage nach ihrer ersten Verwandlung hatte meine Tochter wieder angefangen, Milch von mir zu nehmen. Ich hatte keine Milch mehr gehabt, seit sie im Gefängnis versiegt war, doch als sie mitten in der Nacht des zehnten Tages aufwachte, war sie wieder da, genau wie ich es im Traum kurz zuvor schon gewusst hatte. So mit ihr an der Brust dazusitzen, das Leben und die Liebe zu spüren, die hätten sein können, war ein einzigartiger Kummer. Sie starrte mich mit leidenschaftslosem Verständnis an, so als wisse sie, dass meine Liebe von ihr weggezwungen wurde, es aber nichts gab, was sie dagegen tun konnte. Ihre Hauptverdrahtung war die zu ihrem Bruder. Nichts konnte von ihr zu mir kommen, solange er fort war. Sie bestrafte mich nicht. Es war unpersönlich, strukturell, notwendig. Wenn ich versagte – wenn er starb, aber sie und ich überlebten –, dann würde zwischen uns etwas möglich sein, wenn ich es denn ertrug. Aber nicht, solange er noch lebte, solange er festgehalten wurde. Bis das eine oder das andere festgestellt worden war – lebend gerettet oder tot aufgefunden –, hatte ihre Seele Pause. Natürlich sagte ich mir, dass nichts von dem von ihr kam, sondern nur meine eigene Projektion war. Mein Verstand wusste das. Das machte keinen Unterschied. Jedes Mal, wenn sich unsere Blicke kreuzten, war alles wieder da. Das hätte mich eigentlich davon abhalten sollen, ihr in die Augen zu schauen. Aber ich konnte nicht anders. Die Wahrheit machte süchtig.
Fünf Tage vor der Wintersonnenwende wachte ich um vier Uhr früh auf und wusste, etwas stimmte nicht. Der Hunger war hellwach, hatte quasselnd und unruhig auf mich gewartet, holte manchmal aus (Schlaf erkennt er nicht an, doch am Ende ist die Erschöpfung stärker, und der Körper bricht zusammen), doch über den Lärm meines Blutes hinweg verriet mir das Haus eine neue Stille, irgendwo versteckt. 4.17, sagte meine Uhr.
Konstantinovs Schicht.
Oh.
Ich sah in die Wiege. Zoë war wach, aber friedlich. Ich stand auf, zog Jeans, Sneakers und Hemd an, und ohne jeden Protest steckte ich sie in die Babytrage vor meinem Oberkörper. Unter meinem Kissen lag eine Springfield und ein Magazin. Ich nahm beides mit.
Walkers Tür war zu, aber er schlief nicht. Ich konnte Scotch, dreckige Wäsche, den Jammer seines Körpers riechen. Cloquets Tür stand weit auf, zeigte ihn vollständig angekleidet auf dem Bauch liegend im Schlaf, ein Arm baumelte über die Bettkante, der unmittelbare Umkreis mit Kippen, zerknüllten Quittungen, Kleingeld und Schlüsseln übersät. Die Vorhänge waren halb geschlossen, ließen den dicken Bauch des Monds erkennen – zunehmender Dreiviertelmond – die Uhr, die nicht die Zeit abtickte, sondern zunehmen ließ, hin zu Lorcans Tod und dem Ende all dessen, was ich kannte.
«Was immer Sie tun, Mikhail, lassen Sie es, bitte. Bitte.«
Ich stand oben an der Kellertreppe. Konstantinov stand mit dem Rücken zu mir über Calebs Bett gebeugt. In der einen Hand hatte er mein Handy. Auf dem Boden neben ihm stand eine unbeschriftete, undurchsichtige, noch verschlossene Plastikflasche. Ich konnte Calebs Gesicht nicht sehen, aber hören, dass er geknebelt worden war. Handgelenke und
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