Bad Moon Rising
Knöchel waren ans Bett gefesselt worden – unnötig, da wir ihn nicht stark genug werden ließen, um überhaupt auf die Beine zu kommen.
»Mikhail, warten Sie bitte. Es ist alles in Ordnung. Sie haben noch nichts gemacht.«
Ich ging die Treppe hinunter, die Springfield hinten in die Jeans gesteckt.
»Kommen Sie, schauen Sie mich an.«
»Es geht nicht anders«, sagte er. »Es geht nicht anders.«
»Ernsthaft, Mikhail, kommen Sie. Schauen Sie mich an.«
Er drehte sich um. Sein Gesicht war blass und großporig. Sein Bart war gewachsen. Seine Augen waren rhabarberrosa umringt. Er wirkte wie ein irrer Mönch, kurz davor, den Verstand zu verlieren.
»Wenn Sie das tun«, erklärte ich, »werden Sie nicht mehr derselbe Mensch sein. Sie werden für Natasha nicht mehr derselbe sein. Denken Sie daran, Natasha sieht das, sie sieht das vor ihrem geistigen Auge so klar, als würde sie hier neben Ihnen stehen.«
Caleb beobachtete mich durch seine Schwäche und Furcht. Ich dachte: ›Wenn du jemals die Chance hast, dich für mich einzusetzen, dann vergiss das hier bitte nicht.‹
Ich ging auf Konstantinov zu. »Das ist nur die Verzweiflung«, fuhr ich fort. »Das ist nur der Wunsch, irgendetwas zu tun. Ich verstehe das. Ich spüre das auch. Aber tief in sich wissen Sie, dass das nichts bringt, außer Sie zu einer anderen Person zu machen. Jetzt im Augenblick sind Sie der Mensch, den Natasha kennt. Verwandeln Sie sich nicht in jemanden, der ihr fremd ist.«
Er sah zu Caleb hinunter. Nicht mit Mitgefühl oder Hass. Ohne jedes Gefühl. Mit dem menschlichen Gesichtsausdruck, der der riesigen mathematischen Leere entspricht.
»Na, kommen Sie«, sagte ich. »Lassen Sie es bleiben. Es ist vorbei. Sie müssen das alles nicht noch einmal durchmachen.«
Ich hoffte, dass es das war. Ich hoffe, dass ich es ihm ausgeredet hatte, dem Jungen Schwefelsäure ins Gesicht zu kippen, damit seine Mutter die Schreie hörte, was immer auch als Nächstes geschah. Ich hoffe es, aber das werde ich wohl nie herausfinden, denn als Nächstes klingelte das Handy.
Mia war dran.
Sie hatte die Schüler gefunden.
Vierter Teil
Lakune
Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.
Matthäus 7:15
54
Konstantinov kontrollierte gerade die Waffen, als ich ihn auf den neuesten Stand brachte: »Vampire am helllichten Tag.«
»Was?«
»Ich habe gerade mit Mia gesprochen. Erst war es nur Remshi. Nun gibt es mindestens ein Dutzend.«
»Das ist eine Falle. Das ändert nichts. Wir gehen Morgen vor wie geplant.«
»Ich halte es nicht für eine Falle.«
»Das ändert nichts.«
Ich hielt eine halbleere Tasse kalten Kaffee in der Hand. Ich schleuderte sie gegen die Wand hinter seinem Kopf. Sie zerschlug mit einem überraschend lauten Knall. Er legte die AK-47 auf die Couch und sah mich an. Er ließ sich selten durch etwas erschüttern. Auch dies traf ihn nicht, aber es hatte auf der Außenseite seiner Besessenheit eine leichte Schramme hinterlassen.
»Scheiß drauf«, sagte ich, als ein Hungerkrampf meine Eingeweide packte. »Ich weiß, das ändert nichts. Ich habe nur die Schnauze voll von dieser beschissenen russischen Tragik. Hören Sie endlich auf damit, so zu tun, als seien Sie der Einzige, der etwas zu verlieren hat.«
Es war kurz nach zehn Uhr abends. Wir befanden uns im großen Wohnzimmer einer zweigeschossigen Villa, fünf Kilometer außerhalb von Falasarna auf Kreta. Travertin-Fliesen, weiß getünchte Wände, neutral-moderne Möbel, der Duft von Sandelholz und Meer. Fenstertüren gingen auf eine Veranda hinaus, von der Stufen zu einem Pool und einem Olivenhain führten. Der nächste Nachbar war einen halben Kilometer entfernt, über eine steile Schotterstraße, die sich am Hügel entlangschlängelte und kaum Platz für zwei Autos nebeneinander bot. Cloquet hatte das Haus ganz zufällig gefunden, als er versucht hatte, in Chania Zimmer für zwölf Personen zu buchen. Der Hotelmanager hatte die Stimme gesenkt und gefragt, ob er nicht lieber ein Haus mieten wolle. Das von seinem Cousin. Zehn Minuten zu Fuß bis zum Strand. Nebensaison.
Konstantinov starrte mich an. Der Blick sagte ohne bösen Willen: ›Ich habe mehr zu verlieren, denn wenn sie tot ist, werde ich nicht überleben. Sie schon.‹ Er hatte recht. Ich wusste schon, dass Lorcans Tod mich nicht umbringen würde. Wenn der Preis für eine Zukunft mit meiner Tochter darin bestand, die Schuld für den Tod ihres
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