Bad Moon Rising
dieser nach der Waffe greifen konnte. Murdoch lag auf dem Rücken, doch fehlte ihm der Arm, mit dem er hatte zupacken wollen. Nun endete die Schulter in ausgefranstem Fleisch rings um das Gelenk, gerissene Adern pumpten Blut, so als wollten sie es schnell loswerden, als hätten sie schon seit Jahren darauf gewartet. Die Waffe lag in Griffweite. Ich quetschte Sir das letzte bisschen Leben ab (ein geradezu barockes Mahl, ein Leben voller beiläufiger Extreme und gefrönter Abweichungen, aber wenn ich damit anfing, verzettelte ich mich nur), ließ ihn fallen, packte die Waffe. Nicht leicht, einen Schuss mit blutschmierigen Werwolfhänden abzugeben – das Silber summte in meinen Nerven –, doch beim dritten Versuch schaffte ich es.
WIR HABEN KEINE ZEIT!
›Für all das, was du tun willst. Bitte. Wir müssen los.‹
Murdoch hatte schon alle Aufmerksamkeit verbraucht, die sein Körper ihm noch für den verlorenen Arm gelassen hatte, auch wenn die Wunde noch immer leicht Blut pumpte, ein Anblick sinnloser Ejakulation. Sein Körper hatte das größere Bild vor Augen. Das größere Bild hieß Tod. Murdochs Gesicht hatte sich verändert. Der Blick des kahlköpfigen Adlers war noch da, zitterte aber entsetzlich. Der Mund war kindisch geworden. Walker wollte, wie ich wusste, zweierlei. Er wollte, das Murdoch ihn erkannte, und er wollte, dass Murdoch sehr lange litt, bevor er starb.
ICH WEISS, ABER BITTE, MACH EINFACH SCHLUSS MIT IHM.
Der Augenblick der Rache ist stets enttäuschend. Immer. Es ist nur die Gier nach Rache, die uns belebt. Dass Murdoch das nicht wusste, war ein Verlust.
Plötzlich sprang Walker vor, verbiss sich an der Schulter in den anderen Arm und schüttelte ihn wie ein Hund, zerrte mit konzentrierter Raserei daran. Murdochs Mund verzog sich nach unten, Augenlider flatterten wie die einer koketten Frau. Nach einer merkwürdig stillen, bebenden Pause – Murdoch versuchte, nicht zu glauben, was ihm geschah –, löste sich der Arm mit einem nachdrücklich feuchten Knirschen. Murdoch schrie.
BITTE, WALKER. MEIN SOHN. SIE BRINGEN IHN UM.
Aber es war nicht genug. Natürlich nicht. Alles, was Murdoch ihm angetan hatte (oder hatte antun lassen, um zu zeigen, dass es nicht so wichtig war, delegiert werden konnte) war bei Walker wieder da, in Haut, Blut, Knochen, und verlangte nach einer ausgleichenden Gewalt, um es auszuradieren. Einen solchen Ausgleich gab es nicht. Nichts würde je genug sein. Er riss Murdochs Hose und Unterhose herunter. Der armlose Murdoch wand sich und winselte. Das letzte Licht seines Bewusstseins flackerte. Mit geradezu bizarrer Zärtlichkeit legte Walker seine Hand hinter Murdochs Kopf und hob ihn an, so wie man einem Kranken half, aus einem Glas Wasser zu trinken. Walkers andere Hand legte sich um Murdochs Genitalien. Murdoch zitterte, riss die Augen auf, verwirrt, war plötzlich voll konzentriert.
»Du?«, flüsterte er.
Walker nickte. Grinste, auch wenn das menschliche Auge das nicht sehen konnte.
Dann riss er Murdoch die Geschlechtsteile ab. Legte den Kopf in den Nacken. Jaulte.
58
Wir brauchten zehn Minuten bei maximalem Tempo, um das Kloster zu erreichen. Es lag in einem Tal, das in etwa die Form einer Schöpfkelle hatte, auf halber Höhe des Kellenendes auf einem breiten natürlichen Riff, umgeben von einer weißen Steinmauer. Die Vorderfront ging auf das lange schmale Ende des Tals hinunter; die Rückseite war in die Krümmung der Hügelflanke eingebaut.
Der Mond war noch ungestört voll. Die Finsternis begann um 23 Uhr 04 und erreichte das Maximum um 0 Uhr 42 – Mia zufolge die Stunde der Opferung. Wir hatten Zeit. Was immer uns das brachte. Bevor alles schiefgelaufen war, hatte es einen simplen Plan gegeben. Nicht simpel im Sinne von leichtem Gelingen, sondern weil es nur drei Komponenten dabei gab. Erstens mussten die sechs Wachen im Umkreis ausgeschaltet werden, jeweils zwei an den drei Toren in der Mauer. Zweitens sollten Konstantinov, Lucy, Fergus und drei der Söldner in den Ostflügel eindringen (drei Wachen) und Natasha befreien. Drittens sollten Cloquet, Walker, Trish, ich und die anderen Söldner in den Westflügel, in dem Lorcan festgehalten wurde (vier weitere Wachen), und ihn rausholen. All dies hatte bei Tageslicht vonstattengehen sollen, ohne Vampire und mit der Freiheit, so viel Krach zu machen, wie wir wollten. Mias Neuigkeiten, dass ein Dutzend Vampire, vielleicht mehr, wach sein konnten und Mittagsluft schnupperten, hatten daran nichts
Weitere Kostenlose Bücher