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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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Ich zog ihr das Mützchen bis über die Ohren, und INWENDIG fiel und fiel ich immer weiter. »Geschieht dir recht«, sagte Tante Theresas Stimme. »Du hast deine Chance gehabt.«
    Ich nahm mir ein Taxi zum Leicester Square. Vielleicht versteckte es sich, was immer es verdammt nochmal auch war, in der Menschenmenge. Hier war sie: Menschen mit Wollhüten und Schals, mit roten Nasen, die Stirn runzelnd, in Handys quatschtend, vollauf mit ihren Kleinigkeiten beschäftigt. In den Schaufenstern war bereits Weihnachten, glitzernd und gnadenlos wie Luzifer. Die Hauptstadt war vom Finanzcrash völlig entnervt, und überall machten die Londoner ein Gesicht, als versuchten sie verzweifelt nicht daran zu denken, wie schlimm es noch werden würde. Ich bewegte mich unter ihnen, strengte mich an, die übliche Wahrnehmung auszusperren und mich für dessen dämmrigen Widerpart zu öffnen.
    Ohne Erfolg.
    Ich empfing nichts. Zwei Stunden verbrachte ich damit. Wenn überhaupt, so wurde das Signal schwächer. Was ein durchgängiges, nagendes Störgeräusch gewesen war, wurde leise, verschwand manchmal ganz.
    Charing Cross Road. Soho. Piccadilly. Regent Street. Oxford Circus.
    Nichts.
    Mir tat der Rücken weh. Mein linkes Auge tränte von der Kälte. Zoë wollte gestillt werden. Alle zweieinhalb Stunden, wie ein Uhrwerk, dazwischen ein Vier-Stunden-Schlaf von eins bis fünf Uhr früh. Entweder suchte ich einen Wickelraum in einem der Geschäfte auf oder rief mir ein Taxi und fuhr ins Hotel zurück.
    Ich hielt ein Taxi an.
    Der Verkehr westwärts auf der Oxford Street kam nur langsam voran. Ich zückte das Handy, um Cloquet Bescheid zu geben, dass ich auf dem Heimweg sei – dann besann ich mich eines Besseren: Ich wollte das Telefon nicht blockieren und einen Anruf von Walker verpassen. Zoë wand sich und strampelte mit den Füßen – dann hielt sie plötzlich still.
    Ich hatte es auch gespürt.
    Eine Sekunde … was ? So etwas wie erzwungene Intimität. Der Atem eines Lüstlings im Nacken. Ein wahnwitziges Kitzeln in Beinen, Brüsten und Kopfhaut. Dann war es verschwunden.
    »Bitte halten Sie hier.«
    »Sie wollen nicht mehr zum Dorchester?«
    »Nein. Hier bitte. Halten Sie.«
    Auf dem Bürgersteig drehte ich mich langsam um die eigene Achse. Die Straße war mit globalisierten Markennamen übersät: McDonald’s; Nokia; Subway; Gap. In den Seiten der Autos spiegelte sich Licht. Mit einem ungeheuren Dieselgähnen zog ein offener Doppeldeckerbus vorbei, auf dem offenen Dach saßen Touristen, froren, machten Fotos.
    Nichts.
    Fast auf Zehenspitzen ging ich die paar Meter zurück, die das Taxi gebraucht hatte, um anhalten zu können.
    Kalt. Kälter.
    Ich drehte mich wieder um und ging langsam westwärts. Zoë hatte gegen das aufflammende und wieder vergehende Licht die Augen geschlossen. Sie wirkte wie ein winziger uralter Mensch, der sich an etwas von sehr viel früher erinnern wollte.
    Ein wenig wärmer … wärmer …
    Ich blieb gegenüber von Selfridges stehen.
    Wärmer.
    Ich überquerte die Straße.
    Wärmer.
    Dann bewegte ich mich auf eine der Eingangstüren zu und ging hinein.
    Parfümtheken. Spektral, lärmend, voller Gerüche in kopfschmerzbereitenden Dosen. Flaschen wie Kunstobjekte in Science-Fiction. Sorgfältig herausgeputzte Verkäuferinnen mit strahlenden Augen und Haarknoten, denen man ansah, wie viel Mühe es machte, sie den ganzen Tag in Ordnung zu halten. Frauen und Männer beugten sich vor, rochen, runzelten die Stirn, debattierten, als hinge das Schicksal der Welt davon ab. Man musste sich fragen – genau wie bei einem Autobahnstau oder einem brechend vollen Burger King –, warum wir so lebten. Warum die Menschen so lebten, meine ich.
    Im Geschäft war es heiß und hell von zu vielen Halogenlampen. Ich nahm Zoë Mütze und Fäustlinge ab. Sie war still und wach. Ich musste weitergehen.
    Taschen. Sonnenbrillen. Schmuck. Herrenbekleidung: eine Wand aus Schlipsen wie eine Farbtafel. Der Geruch von neuem Leder, Serge und Talkum. Sehr schwach … Ein sehr schwacher Zug, den Fahrstuhl hinauf.
    Ich schwitzte, als wir den zweiten Stock erreichten. Damenbekleidung. Die vertrauten Schwingungen, der Infraschall weiblicher Konzentration. Selbsteinschätzung, Selbstzweifel, Selbstverachtung, Selbsthass, Selbstverliebtheit. Der endlose Streit zwischen Form und Größe. Einige Frauen standen vor Spiegeln, hielten Kleidungsstücke vor sich und begutachteten das Ergebnis mit dem Blick eines Pathologen auf eine Leiche. Andere

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