Bad Moon Rising
wünschten sich sichtlich anders – Hüften, Oberschenkel, Bauch, Brüste –, und sie arbeiteten sich durch die begrenzte Anzahl an kleineren Veränderungen in Haltung und Gesichtsausdruck, die einen Unterschied machen sollten, es aber nie taten.
Ich ging in die Designerecke.
Wärmer.
Versace. Karen Millen. Armani.
Viel wärmer.
Dolce & Gabbana. Diesel.
Heiß.
Prada –
Ich blieb stehen. Zoë spannte sich an.
Es war in der Umkleidekabine.
Und als der satte, unmögliche Geruch mich traf, wusste ich ohne jeden Zweifel, was es war.
Meine Haut war nass und schwer, mein Kopf voller Blut. Ich sah in Zoës Gesicht. Sie hatte die schwarzen Augen weit aufgerissen. Fragen drängten sich. Ich musste sie überhören, überhören und denken – denken!
»Madam«, fragte eine Frauenstimme. »Madam? Alles in Ordnung?«
Ich lehnte am Eingang zur Umkleide. Eine junge Verkäuferin mit braunen Korkenzieherlocken und zu eng stehenden, haselbraunen Augen reckte mir ihre Hände entgegen.
»Geht es Ihnen nicht gut?«
»Alles in Ordnung«, erwiderte ich, doch mein Gesicht war regelrecht fett vor Hitze.
»Ich hole Ihnen einen Stuhl. Bin sofort wieder da.«
»Nein, wirklich, es ist –«
»Eine Sekunde.«
Ich stand da, erschüttert, mit kribbelnder Haut. Zoës Kopf war glühend heiß, ihr weiches Haar stand vor Elektrostatik ab. Meine Beine fühlten sich leer an. Das ist unmöglich. Das ist unmöglich.
Dann öffnete sich die Tür zu einer der Kabinen – und Wolf trat heraus.
27
Es handelte sich um eine junge Frau Mitte zwanzig, blonde, zu einem Pferdeschwanz nach hinten gekämmte Haare, limonengrüne Augen in einem katzenhaften kleinen Gesicht, schmaler Körper ohne ein Gramm Fett. Sie trug kein Make-up, aber man konnte erkennen, dass sie damit popmiezenglamourös aussehen würde. Die Männer würden ohne Ausnahme sagen: »Ja. Absolut.« Dass die Männer sie anstarrten, machte einen Großteil ihres Lebens aus. Ihre Aura wirkte mächtig und irritierend. Sie trug einen weißen Rollkragenpullover, schwarze Leggings, kniehohe, ochsenblutfarbene Lederstiefel und eine dazu passende Tasche. Über dem linken Arm trug sie einen schwarzen Gehrock.
Sehr lange standen wir da und starrten uns an. Die Luft zwischen uns pochte mit Jakes ersten Worten an mich auf dem Flughafen Heathrow: »Ich weiß, was Sie sind, und Sie wissen, was ich bin.«
»Bitte sehr, Madam, setzen Sie sich kurz hin. Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen?« Die Verkäuferin war mit einem Plastikstuhl zurückgekehrt. »Passt es?«, fragte sie die blonde Frau.
Keiner von uns konnte antworten. Nun, da ich wusste, wer da diese Gänsehaut verursacht hatte, hatte ich den Eindruck, als hätte es nichts anderes sein können.
»Nun«, meinte die Verkäuferin (und dachte: ›Okay, ihr könnt mich beide mal‹), »der Stuhl steht hier, falls Sie ihn brauchen. Ich bin gleich wieder zurück.«
Als sie fort war und die junge Frau und ich allein waren, dastanden und uns ansahen, härtete Zeit und Stille um uns herum aus. In der Zwischenzeit ordnete sich die Welt neu, wie eine Computeranimation von planetarischer Größe. Alarmierende Schwesternschaft schwebte zwischen uns und durch uns und um uns herum. (»Und woher wissen wir, dass es wirklich keine anderen mehr gibt?«, hatte ich Jake gefragt. Harley hätte davon gewusst, hatte er geantwortet. Aber Harley hatte neun Monate gebraucht, bis er herausgefunden hatte, dass es mich gab.) Irgendwo im Geschäft war ich an einem Plakat für das neue iPhone vorbeigekommen: Ändert alles. Wieder mal .
Endlich bewegte ich den Mund. »Wer sind Sie?«, fragte ich.
Sie schluckte. Öffnete den Mund, schloss ihn wieder. Fing wieder von vorn an. »Wer sind Sie ?«, entgegnete sie. Ihre Stimme überraschte mich: Londoner Arbeiterklasse, East End womöglich. Nach ihrer schicken Aufmachung hatte ich eher Privatschule erwartet.
»Die Frage lautet nicht ›wer‹, richtig?«, sagte ich. »Sondern ›was‹.«
»Verdammte Scheiße«, murmelte sie. »Verdammte Scheiße .«
In einer der anderen Kabinen schnalzte jemand missbilligend mit der Zunge.
»Sie sind Amerikanerin«, stellte sie fest.
»Ja.«
»Wer hat Ihnen das angetan?«
»Vielleicht sollten wir –«
Eine Kabinentür ging auf, und eine gewichtige Frau in einem karierten Mantel und den Armen voller Kleidungsstücke trat zwischen uns. Ihr Gesicht war ganz rot. Sie hatte nicht geschnalzt. Sie war zutiefst mit ihren eigenen Plänen und Sorgen beschäftigt. Ich musste
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