Bad Moon Rising
wollte er das alles abtun und einen Scherz draus machen, aber ich wusste schon, dass da was wirklich Irres lief.«
»Ich weiß immer noch nicht, wie er Ihnen das weitergegeben hat«, fragte ich mich.
Madeline schüttelte den Kopf und zuckte mit den Schultern. »Damals nahm ich einfach an …« Sie machte ein Gesicht, deutete Sex an. »Verstehen Sie?«
»Aber so verbreitet sich das nicht«, widersprach ich ihr. »Mit Sexualkontakten hat das nichts zu tun, soweit ich weiß.«
»Hören Sie, vielleicht haben Sie ja recht, aber was soll ich sagen? Er hat mich jedenfalls nicht gebissen. Er hat sich nicht verwandelt. Ich weiß nur, es ist definitiv nach jener letzten Nacht in Caernarfon passiert.«
Wir sagten beide nichts – verfielen regelrecht in Schweigen, denn das, was sie gerade gesagt hatte, brachte das Opfer ihres ersten Mals – den Teenager – zu uns ins Zimmer. Wir sahen uns an – ein Augenblick absoluter Transparenz (ja, wir wussten, was wir getan hatten; ja, wir hatten es wirklich getan) –, dann wandten wir den Blick ab, nicht peinlich berührt, sondern schockiert über den schmutzigen Kick aus diesem beiderseitigen Eingeständnis. Ich konnte mir vorstellen, dass die erste inzestuöse Berührung unter Geschwistern sich so anfühlte. Ich dachte auch – hatte praktisch vom ersten Augenblick an gedacht, als ich erkannte, was sie war: Sollte dies der erste Sex mit einer Frau werden? Wie wäre wohl Vögeln Töten Fressen mit ihr? Würde sie überhaupt wollen?
»Etwas stimmt nicht mit Ihnen«, erklärte Madeline.
»Was?«
»Etwas ist Ihnen zugestoßen. Was denn?«
Vordergründig hatte ich mich zurückgehalten, ihr von dem Kidnapping zu erzählen, um ihre Wolfsintuition zu testen und zu sehen, ob sie selbst darauf kommen würde. Weniger vordergründig, weil mein Erzählen das ganze Ausmaß meines Versagens zurückholen würde. Versagen als Frau, als Mutter, als Mensch. Meine eigene Abscheu war schon schlimm genug gewesen. Nun würde ich mich auch noch mit der Abscheu meiner Art auseinandersetzen müssen.
Die Hitze zwischen uns nahm zu. Der Augenblick dehnte sich. Unsere Blicke kreuzten sich und trennten sich wieder, weil keiner von uns sicher war, ob wir schon zu der groben Telepathie bereit waren, die sich anbot. Ich dachte an die Wölfe in Alaska, an die Art, wie mein Wille ihnen in Schultern, Hinterläufe, Schnauzen und Krallen gefahren war –
»Aufhören!«
Madeline saß ganz verspannt in ihrem Sessel. Ich fürchtete schon, das Glas in ihrer Hand würde zerbersten.
»Tut mir leid, ich wollte wirklich –« Doch da war sie , in meinem Nacken und den Unterarmen, ein schockierendes Eindringen.
»Warten Sie«, sagte ich. »Tut mir leid. Ich wusste nicht, dass das passieren würde. Immer mit der Ruhe.«
Wir starrten uns an. Panik und Widerwille waren menschlich. In der Zwischenzeit gab sich Wolf der Freude hin. Eine scheinbar lange Zeit hielt sich beides die Waage. Dann mussten wir beide – aus einer Mischung aus peinlicher Berührtheit und plötzlichem gegenseitigen Vertrauen – lachen. Wir zogen uns gleichzeitig zurück, ein Gefühl wie der schmale, sich auflösende Rand einer Welle im Sand. Schschsch .
»Ist das bei den anderen auch so?«, fragte ich sie.
»Ja.«
»Daran muss man sich erst gewöhnen.«
»Da sagen Sie was.«
»Ich möchte sie kennenlernen.«
»Was, jetzt?«
»Na ja … Nein, warten Sie. Das müssen wir erst durchdenken. Wir müssen vorsichtig sein.«
»Was meinen Sie damit?«
»Was Sie vorhin sagten, etwas stimme nicht, etwas sei mir zugestoßen? Sie haben recht.«
»Was ist es denn?«
Zoë machte ein kleines stakkatohaftes Geräusch im Schlaf, strampelte ein paarmal mit den Beinen und wurde wieder ruhiger. Es fing an zu regnen. Ich hasste die Wörter. Jedes einzelne davon war wie ein großes lebendes Insekt im Mund.
»Mein Sohn ist entführt worden«, sagte ich und setzte mich auf die Bettkante. »Ich habe keine Ahnung, wo er ist. Sie werden ihn töten.«
29
Ich erzählte Madeline alles, und sie erzählte mir alles. Die Dämmerung brach herein. Das Zimmer wurde zu einem geheimen Ort, unsere Stimmen immer leiser. In der Stille rings um uns blühten die Morde in unserem Erröten auf. Ich wusste, sie hatte den Schritt getan und erkannte, dass Schuldgefühle sinnlos waren, sie war ja immer noch hier, trotz all der Dinge, die sie getan hatte, die sie tat und weiter tun würde. Sie war immer noch hier, gut gekleidet, mit Dior Addict, mit Geld in der Tasche
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