Bad Moon Rising
Ehrlich, die Frau war ein Wrack. Am Ende hat sie mich rundheraus gefragt, ob ich … na, du weißt schon. Sie so, sie hätte ja gesehen, wie mich das verändert hätte. Ich so, ich bin anders als früher. Früher war ich … na ja. Egal. Du weißt schon. Ich meine, du weißt das ja selber.« Das fand ich auch. Was immer der Fluch auch sonst bewirkt hatte, zumindest hatte ich die physische Angst verloren. Sie ahnen nicht, wie viel physische Angst Sie mit sich herumschleppen, bis sie fort ist. Stellen Sie sich jeden Augenblick vor, in dem Sie mit einem Mann zusammen sind, den Sie nicht kennen. Auf der Straße. An einer Tankstelle mitten in der Nacht. Und jetzt stellen Sie sich vor, er kann Sie nicht töten. Stellen Sie sich vor, Sie können gerade genug Wolf an die Oberfläche holen, um ihm klarzumachen, dass es eine ganz, ganz schlechte Idee wäre, sich mit Ihnen anzulegen. Madeline nippte an ihrem Gin Tonic und fuhr fort: »Also dachte ich: Lässt du sie allein, Madeline, liegt sie in einem Monat im Sarg. Und wozu dann das alles? Klingt bescheuert, ich weiß, aber ich wusste wirklich nicht, was sie zu verlieren hatte. Also hab ich’s gemacht.«
Ein Zimmermädchen schob einen klappernden Wagen an der Tür vorbei. Die Welt war von uns gewichen. Das Zimmer war dunkel. Aufzustehen und Licht anzumachen, wäre brutal gewesen.
»Sie hat den Scheiß endlich sein gelassen«, fuhr Madeline fort. »Jetzt ist sie vollkommen verändert. Sie sollten sie sehen. Die reinste beschissene Lara Croft.«
Lara Croft oder nicht, jedenfalls hatte Trish ihren Mord letzten Monat versaut, und nun gehörte auch Fergus, ein dreimal geschiedener, dreiundfünfzigjähriger Alkoholiker und Handelsvertreter, zur Familie. Genau wie Lucy hatte auch er seine Schöpferin aufgespürt. »Bei dir ist das anders«, meinte Madeline. »Lucy und Fergus konnten uns aufspüren. Ich mein, wir alle haben ein Gefühl dafür, wo wir sind. Instinkt oder was auch immer. Wenn ich hier weggehe und einfach losgehe, weiß ich ziemlich bald, in welche Richtung ich zu einem von ihnen gehen muss. Nicht so wie bei dir. Das ist komplizierter.«
Sie war nicht sentimental. Als ich ihr von der Geburt und meinem toten Herz erzählte, von der Leerstelle, wo Liebe hätte sein sollen, sagte sie nicht, ich solle mir nicht die Schuld geben, das sei nicht mein Versagen, ich hätte eh nichts tun können. Sie saß nur da, war fasziniert, lauschte gebannt der Geschichte. Ein paarmal machte ich zu lange Pausen. »Und was dann?«, wollte sie wissen. Ich mochte sie. Sie konnte ihre Befriedigung darüber, niemals zu altern, nicht verbergen. Sie wollte bestätigt haben, dass sie vierhundert Jahre lang leben würde und nicht krank werden konnte. Ich sagte ihr, das habe Jake mir erzählt – und wenn es einer hätte wissen müssen, dann er.
Es steckte eine bittere Faszination darin, dass Jake mich geliebt hatte. Nicht, weil sie sich für Jake interessierte, sondern weil sie sich genötigt sah herauszufinden, welche Meriten oder Fähigkeiten andere Frauen hatten. Ich spürte, wie sie sich vorzustellen versuchte, wie es zwischen ihm und mir gewesen sein mochte. Ich konnte spüren, dass sie zögerlich zu der Erkenntnis kam, es sei das andere, das Mysteriöse, das Ding, von dem selbst phantastischer Sex nur ein Teil ist. Sie war nie verliebt gewesen, nicht als Erwachsene. In dieser Hinsicht war sie noch ungeformt. Ich hatte es in den schlanken, verspannten Schultern gespürt. Es fand sich in ihrer Neugier für alles Mögliche. Es fand sich in der Prostitution. Es gab einen peinlichen Augenblick, als ich sie fragte, ob sie noch immer als Escortdame arbeitete und sie das bejahte. Peinlich, weil Jake sofort wieder auftauchte, die Bilder, die Spekulationen (hat er mit dir auch gern …?) und dann wieder, weil sie trotz allem wohl dachte, ich könne das missbilligen (zuerst tat sie strahlend ein wenig so, als handele sie aus pragmatischer Schamlosigkeit); peinlich aber vor allem, weil dies, wie ein heißer Schauer, in uns beiden das Bewusstsein für das andere, sanftere Grauen unseres Zustands weckte: Wolfslibido. Plötzlich tauchte da unübersehbar die Tatsache von Fluchnymphomanie auf, und einen Augenblick lang wussten wir nicht, ob wir das zur Kenntnis nehmen sollten. Stille. Dann mussten wir beide lachen wie schon zuvor. »Ich hatte drei Monate Ruhe, als ich schwanger war«, erklärte ich. »Jetzt geht es wieder los.«
Madeline war bei ihrem vierten Gin Tonic angelangt. »Also, ich seh das
Weitere Kostenlose Bücher