Bad Moon Rising
so weit ist«, erwiderte ich.
Und dann war es so weit – besser gesagt, wir mussten los, egal wie.
Cloquet saß auf der Bettkante und nahm das Kind. Ich war gerade mit ihm die Anleitung für die Flaschenmilch durchgegangen, die ich gekauft und in meinem Zimmer versteckt hatte, weil ich ja wusste, dass dieser Augenblick kommen würde.
»Es gibt keine andere Möglichkeit«, erklärte ich.
»Ich weiß.«
»Es wird alles gutgehen.«
»Und was, wenn du nicht zurückkommst?«
»Ich komme zurück, versprochen.«
»Das kann man nicht versprechen.«
»Nein, das kann man nicht. Tut mir leid.«
Es war zwei Uhr früh, und es regnete hörbar stark. Der erste Flug, den Walker für uns hatte kriegen können, ging in dreieinhalb Stunden. Ich sollte mich in Heathrow mit ihm treffen. Ich hatte noch mehr Geld auf Cloquets Konto überweisen lassen und meinem Vater einen Brief geschrieben, den Cloquet im Fall meines Todes persönlich überbringen sollte. Mein Testament lag bei dem Anwalt in Manhattan, der auch die Scheidung geregelt hatte. Ich hatte überlegt, einen Brief an Zoë schreiben (an beide, denn es war ja theoretisch möglich, dass Lorcan überlebte, falls es mich erwischen sollte), aber ich konnte nicht. Es fühlte sich falsch an, wie etwas für mich Bestimmtes, verkleidet als etwas für sie Bestimmtes. Dann lieber ein sauberes Rätsel. Lieber die Freiheit, sich die Mutter vorzustellen, die sie hätten haben wollen. Genau wie sie es bei ihrem Vater würden machen müssen.
Ich gab Cloquet Madelines Telefonnummer.
»Das meinst du nicht ernst«, sagte er.
»Wenn die beiden überleben, werden sie Kontakt zu ihrer eigenen Art brauchen. Ich weiß, du wirst auf sie achtgeben, aber du brauchst Hilfe dabei. Madeline ist kein schlechter Mensch. Vertrau mir, ich weiß es. Und außerdem … wer weiß? Sie könnte gut für dich sein.«
»Das ist –«
»Das ist notwendig. Streite nicht mit mir. Also, weißt du, was du mit der Flaschenmilch machen musst?«
Ich hatte gepackt, wenn man es so nennen konnte. Ausweise, Bargeld, Karten, Lorcans Geburtsurkunde, eine Zahnbürste, Wechselwäsche. Jakes letztes Tagebuch. Ich wollte nicht fertig sein, wenn das Taxi kam. Ich wollte eilig aufbrechen und nicht darüber nachdenken, was ich noch hätte sagen sollen. Ich wollte nicht in der Lage sein, Zoë länger als einen kurzen Augenblick zu halten.
Um die Zeit totzuschlagen, ging ich ins Bad und legte Make-up auf. Nahm Zahnseide. Putzte mir die Zähne. Blieb nach dem Pinkeln eine halbe Ewigkeit auf dem Klo hocken. Ertappte mich dabei, wie ich im Bad Einzelheiten wahrnahm, wie man sie wohl in den letzten paar Sekunden vor seiner Hinrichtung wahrnehmen würde. Die ungeheure mathematische Stille war hier, im weißen Porzellan und in den freudig strahlenden Halogenlampen. Wieder stellte ich mir vor, wie ich ohne Waffe in der Hand über die trockene Weide ging – und wie sich meine Hände in Wirklichkeit so anfühlten, als hätten sie ihre halbe Masse verloren. Ich beugte mich über die Kloschüssel, so überzeugt war ich davon, mich übergeben zu müssen. Nichts geschah. Ich richtete mich zitternd wieder auf.
Das Zimmertelefon klingelte.
»Taxi«, rief Cloquet.
Als ich aus dem Bad kam, hielt er Zoë auf dem Arm. Ich nahm sie schnell, hielt sie, sah sie an. Spürte all das, worauf ich kein Anrecht hatte, wie eine autarke, zitternde Flutwelle. Ihr Gesicht war noch warm vom Schlaf, auf der Wange eine Falte vom Liegen. Sie schielte bei dem Versuch, mich anzuschauen. Schnell, vor dem Fall ins Nichts, schnell, schnell. Ich gab ihr einen Kuss, roch an ihrem Kopf, hielt mein Gesicht kurz an das ihre, sagte innerlich: ›Tut mir leid, mein Engel, das alles tut mir leid‹ – und ließ es dann bleiben. Das schob nur Dunkelheit vor die blinkenden Lichter ihrer Zukunft. Das erweichte nur das Herz des Pharao, und ich dachte schon, ich könne sie nicht verlassen, was mich umgehend in den Abgrund stürzte, denn wer war ich? Wer war ich ? Als ich sie wieder in die Wiege legte, zog ihr Gewicht an meinem Inneren, eine sanfte Verstümmelung. Du musst dich jetzt umdrehen, sonst kommst du niemals fort. Jetzt. Jetzt .
Cloquet überkam plötzlich die Erkenntnis der Realität, all die Mechanismen des Leugnens und Verschiebens versagten. Sein Gesicht war ganz offen vor Angst. Ich umarmte ihn schnell, murmelte: »Sag nichts.« Er legte seine Arme um mich. Ich wusste, wenn ich ihm erlauben würde, mich richtig zu umarmen, dann würde es mühsam werden,
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