Bad Moon Rising
mich mit seinen ganz neuen, großen grünen Augen ansehen.
»Sie werden sich fragen, ob man Sie vergewaltigen wird«, sagte Murdoch. Sein Geruch nach Leder und sauberem Drillich wurde ergänzt durch den Duft von adrett männlichen Toiletteartikeln. Er hatte seit dem Käfig geduscht und sich rasiert. »Die Antwort lautet nein. Die Forscher kommen morgen und werden eine gründliche Untersuchung und Analyse vornehmen, und meine Männer haben den Befehl, Sie nicht anzurühren. Außerdem erlaube ich so etwas nicht.«
›Wie schade‹, hätte ich beinahe gesagt, ›ich könnte es brauchen.‹ Nur um ihn zu provozieren, doch als mir der Gedanke durch den Kopf ging, wurde mir sein Wahrheitsgehalt klar wie ein peinlicher Geruch. Das Verlangen, ob ich nun wollte oder nicht, wand sich in mir herum wie eine schlaflose Schlange. Zu den Bemühungen, mich nicht selbst wegen meiner beschissenen Nutzlosigkeit zu verachten, zu den Mühen, nicht an Lorcan und Zoë zu denken, zu der Verzweiflung, die wie ein weiches, weißes Bett darauf wartete, dass ich mich hineinlegte, zu der Wirklichkeit des Todes, die mich willkürlich überfiel wie die Hitze aus einem Glutofen – zu alldem kam noch die grinsende, idiotische Verlässlichkeit der Wolfslust. ›Man kann über den Fluch sagen, was man will‹, hatte Jake geschrieben, ›aber man kann nicht behaupten, dass er keinen Humor habe. Sadismus, Slapstick oder absurdes Theater, aber nichts desto trotz Humor.‹ In Poulsoms weißem Gefängnis hatte ich ein Zimmer mit einer Tür und einem Licht gehabt, das man ausschalten konnte, und obwohl ich insgeheim den Verdacht hatte, dass es Infrarot-Überwachung gab, hatte es zumindest die Illusion von Privatsphäre gegeben. Hier nicht. Das Licht in der Zelle brannte rund um die Uhr, und die Überwachungskameras schliefen nie.
»Sex ist eine Kraft, die zum Chaos führt«, erläuterte Murdoch. Er hatte eine angenehm sanfte Stimme. »Wenn ich die in diesem Szenario zulasse, dann habe ich bald mit Ablenkung, Konflikt, Ungehorsam zu tun. Eine skrupellose Energie. Soweit meine Einsichten.«
Ich sah lebhaft vor mir, wie er Hoyle den Schädel eingeschlagen hatte. Murdoch hatte ein friedliches Gesicht dabei gehabt. Das Gesicht, mit dem er allein in einem Café sitzen und zum Fenster hinaus in den Regen schauen würde. Ich fragte mich, in welchem Zustand Walker war, wo auch immer er war.
»Was geschieht mit mir?«, fragte ich.
»Kommt auf die Forscher an«, antwortete Murdoch. »Die Lykanthropische Forschung wurde vor ein paar Jahren eingestellt, aber die jüngsten Ereignisse haben das Feld wiederbelebt. Poulsoms Werk vor allem, der Antivirus. Die Eierköpfe werden Sie auf Herz und Nieren prüfen und eine Entscheidung treffen. Wenn es nach mir ginge, würde ich Ihnen den Kopf abschneiden. Aber was auch immer, die Außenwelt werden Sie jedenfalls nie wiedersehen.«
Irgendwann in der Vergangenheit hatten die Frauen (in Gestalt einer einzigen Frau) nicht dem entsprochen, was Murdoch sich wohl von ihnen erwartet hatte. Ich sah unerwiderte Leidenschaften, eine Intensität, die erst linkisch war, dann verzweifelt, dann desaströs. Murdoch war auf eben jene mysteriöse Art ganz falsch für Frauen, wie Walker ganz richtig für Frauen war. Was Murdoch, wie sich herausstellte, nicht daran hinderte zu heiraten oder mit weiblichen Mitarbeitern zu arbeiten. Eine Frau war nur ein Problem, wenn sie grundsätzlich Einfluss zu nehmen versuchte. Angela, seine Frau, die nebensächlich schien, hatte sich in Wahrheit als Einflussnehmerin erwiesen. Sie hatte ihn analysiert und mit anderen Männern geschlafen. Vielleicht gehörte ich auch zu dieser Kategorie. Er hatte sich noch nicht entschieden.
»Wissen Sie, wo die Vampire Konstantinovs Frau festhalten?«, fragte ich ihn.
»Und Ihren Sohn, meinen Sie? Sie erwähnen ihn nicht für den Fall, dass wir nichts von ihm wissen. Aber natürlich wissen wir von ihm.«
Hitze füllte mir den Schädel. Plötzliche Wut, Übelkeit und Abscheu darüber, immer der Einfaltspinsel zu sein, jede Minute weniger zu wissen. Eine Version der Hölle: Je näher ich glaubte, meinem Sohn zu sein, umso weiter weg war ich. Ich stellte mir vor, wie Jacqueline sich die Talulla Show anschaute und bei jedem meiner Fehler vor leiser Freude zusammenzuckte. Ich stellte mir Jake vor, wie er sich ohne zu blinzeln, stumm, brennend die Aufnahmen ansah.
»Von Ihrem kleinen Mädchen natürlich auch«, fuhr Murdoch fort. »Hoyle sei Dank. Walker sei Dank. Wieso
Weitere Kostenlose Bücher