Bad Moon Rising
saugte ihn aus.
»Onkelchen, das ist nicht fair!«, klagte Tunner.
Murdoch ignorierte ihn.
Tunner trat nach Calebs Hand – der verschlossene Beutel flog in eine Käfigecke. Caleb drehte sich um, wollte hinterher, Tunner sprang ihn an, landete tatsächlich auf dem Rücken des Jungen und prügelte mit dem Knüppel auf seinen Kopf ein. Caleb machte drei, vier Schritte – ein Teenager, der einen Achtzig-Kilo-Mann huckepack nahm –, dann ging er in die Knie. Tunner hatte ihn zehn- oder zwölfmal mit dem Filzstift markiert.
»Eins dreißig vorbei«, rief Murdoch.
Tunner ließ den Stift hinter sich fallen, packte mit der nun freien Hand Calebs Haare und riss den Kopf nach hinten. Caleb war fünfzehn Zentimeter von der Blutkonserve entfernt und streckte sich danach. Die Adern waren nur noch blass zu erkennen. Tunner schlug ihm den Knüppel über die Luftröhre. Caleb schnappte nach Luft, kam auf die Füße – dann schleuderte er sich rückwärts und rammte Tunner in den Stacheldraht. Tunner schrie auf und wand sich, riss sich die Haut auf dem Rücken auf und bespritzte die nächststehenden Jäger mit Blut. Ein paar von ihnen sahen Murdoch an. Murdoch konzentrierte sich mit geschürzten Lippen auf die Uhr.
Caleb wurde wieder schwach. Er brauchte beide Hände, um Tunners Knüppelarm zu blocken, so dass der andere Arm des Jägers frei war. Mit merkwürdiger Präzision griff er um den Kopf des Vampirs, packte Calebs Kopf seitlich und bohrte dann seinen Daumen in das Auge des Jungen.
»Ich würde mir keine großen Sorgen machen«, sagte Murdoch zu mir, als das Auge – genauer gesagt, die Hälfte davon – herauskam, »bis Morgen früh hat er ein neues. Sie wissen ja, wie das funktioniert.« Dann zu Tunner: »Zwei Minuten. Ästhetisch sehr schwach, Mr Tunner. Ästhetisch sehr schwach.«
Der Rest des Kampfes war bleiern und widerlich. Tunner bohrte tief genug in das andere Auge des Jungen, so dass der kaum noch etwas sehen konnte, danach konnte der Jäger praktisch nach Belieben agieren. Nachdem er den vollen Beutel aus dem Käfig geschubst hatte, hatte er genügend Zeit, den Stift zu suchen, und bis Murdoch die Uhr anhielt, lag der Junge halb bewusstlos zusammengerollt auf dem Boden und war mit roten Filzstiftstrichen bedeckt; das Gesicht war ein Brei aus schwarzem Blut. Als letzte Beleidigung riss Tunner ihm die Trainingshose erneut herunter und malte ihm einen großen roten Fleck auf eine nackte Gesäßbacke. Caleb, blind, Gliedmaßen heiß und unsicher, brauchte drei Versuche, um die Hose wieder hochzuziehen.
»Na toll, du Arschloch«, sagte einer der sich aufwärmenden Jäger, als Tunner den Käfig verließ. »Blind ist er für uns andere gar nichts mehr nütze.«
38
Nach gefühlt mehreren Stunden tauchte Murdoch bei mir auf. Ich war wieder in die Zelle zurückgebracht worden, und man hatte mir einen halben Laib Brot und etwas kaltes Hühnchen gegeben, was ich nach einem Kämpfen und Ringen mit dem Hunger gegessen hatte. Ich hatte die Zeit damit verbracht, mir Milch abzupressen und an immer denselben Gedanken abzuprallen: ›Ich werde hier drin sterben. Die Vampire werden Lorcan töten. Cloquet wird Zoë im Stich lassen. Die Jagdgesellschaft wird sie finden. Ich werde das Gesicht meines Dads nie wieder sehen. Ich muss raus hier. Ich werde hier drin sterben …«
Mein Rhythmus war durcheinandergeraten. Wolf tauchte auf, trat mit wirrer Wut bis direkt an die Grenze – die plötzliche tiefe Stärke in Brust und Schenkeln, das Eisen in den Augenzähnen, das Kreischen in Finger- und Zehengelenken –, dann explodierte er und hinterließ seinen Geist wie einen Nebel auf der Menschmaschine. Immer wieder fragte ich mich, ob ich verwandelt wohl die Stangen verbiegen könnte. Ich wusste die Antwort: Nein. Der Stahl verriet meinen Händen, wann die Wolfskraft versagen würde: Kurz davor. Und außerdem würde ich bis dahin tot sein oder als Gemüse auf einer Tragbahre liegen.
Caleb brachten sie ein paar Stunden nach mir wieder in die Zelle zurück. Er war bewusstlos – oder, falls es draußen Tag war, schlief er den Schlaf seiner Art. Sein Gestank war überwältigend, kochte schier über. Wenn ich mich nicht schon ausgekotzt hätte, dann hätte ich mich wieder übergeben müssen. Ich hatte zugesehen, wie das verletzte Gewebe seiner Augen schwarz wurde, einschrumpelte, abfiel. Murdoch hatte recht, ich wusste, wie das war: der stumme Jazz zellulärer Regenerierung. Wenn Caleb aufwachte, würde er blinzeln und
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