Bädersterben: Kriminalroman
Etablissement aufgewacht. Damals hatte er Stuhr kennen- und schätzen gelernt, obwohl der durchgängig anders gestrickt und bestimmt 20 Jahre älter als er selbst war. Stuhr entpuppte sich irgendwann als ein Frühpensionär der Landesregierung, was zunächst natürlich niemanden fröhlich stimmen konnte, der sich wie er auf dem freien Markt behaupten musste.
Ein Glückskind dieser Stuhr also? Nein, nicht wirklich. Über die Gründe, die ihm den goldenen Handschlag aus dem Landesdienst – von Arbeitswelt war bei Beamten wohl nicht zu reden – ermöglicht hatte, darüber hatten sie nie gesprochen. Zudem wusste Stuhr zwar vieles, aber er hatte es noch nie geschafft, seine Erfahrungen in nützliche Dinge wie Geld oder Frauen umzumünzen. Aber vielleicht hatte er dieses Mal mit dem Flugzeug die bessere Wahl getroffen, denn nach dem Höllentrip mit dem Katamaran war ihm immer noch speiübel. Was allerdings weniger mit dem Schiff, als vielmehr mit der Bekanntschaft mit Dieter Duckstein zusammenhing, der jetzt leichenblass und schwer atmend mit zusammengekniffenen Augen neben ihm im anderen Bett des Doppelzimmers vor sich hin vegetierte. Der würde heute zu nichts mehr fähig sein.
Olli war auf der Elbe zunächst richtig schön weggesackt, bis ihn zunehmender kurzer Wellenschlag wieder die Augen aufschlagen ließ. Die Katamaranfähre schien gegen den aufgefrischten Wind große Mühe zu haben, in die Hafeneinfahrt des letzten Anlegers vor Helgoland, der Alten Liebe in Cuxhaven, einzubiegen. Als sie sich nach drei Anläufen endlich im geschützten Hafenbecken befanden, drückten heftige Windböen den Katamaran immer wieder von der Kaimauer fort. Erst nach mehreren Versuchen konnten sie seitwärts anlegen und fest an das Tau gelegt werden.
Auch ein großes Seebäderschiff, die Atlantis, schien unerwartete Schwierigkeiten zu haben, sauber am Kai anzulegen. Immer wieder versuchte der Kapitän, sein Schiff glatt gegen die Spundwand zu legen. Olli konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass ein solch stabiles Schiff im Hafenbecken vom Wind weggedrückt wurde. Vermutlich war der Kapitän unerfahren, und den vielen auf dem Kai mit hängenden Gesichtern wartenden Passagieren, die in der neblig-feucht gewordenen Witterung ungeduldig auf das Anlegen der Schiffe warteten, war deutlich anzusehen, dass sie ähnlich dachten.
Erstaunlich war auch die große Anzahl von Reisewilligen. Offensichtlich hatten sie ihre Fahrt schon länger gebucht, denn bei diesen Wetterbedingungen konnte der Aufenthalt in Helgoland nur wenig Freude bereiten. Schließlich lag die kleine Insel ziemlich ungeschützt mitten in der freien Nordsee, da wäre Olli nicht freiwillig mit an Bord gegangen. Er tat es nur Stuhr zuliebe.
Glücklicherweise hatte sich der Katamaran nur langsam gefüllt. Offensichtlich hatte der hohe Fahrpreis die meisten anderen Passagiere auf die Atlantis verschreckt. Dass sich für ihn die Welt in Cuxhaven dennoch blitzartig in einer Art und Weise ändern würde, die er nie für möglich gehalten hätte, damit konnte er nicht rechnen. Olli bemerkte zunächst nur, dass jemand wie ein Flüchtling in sein Refugium hineinschoss. Er nahm wie eine ungeliebte Fliege ausgerechnet auf ihn Kurs und ließ sich sogleich erschöpft neben ihm nieder. Im ersten Moment war Olli über die ungewollte Nähe entsetzt, denn in der gesamten Lounge hinter ihm lauerten noch mehr als 50 freie Komfortsitze auf irgendeinen Hintern.
Sein Sitznachbar war zwar deutlich älter als er selbst, aber er wirkte überaus gepflegt. Daran sollte sich Stuhr lieber orientieren, als irgendwelchen Hirngespinsten hinterherzujagen. Olli bemühte sich, krampfhaft nach vorn durch das Panoramafenster zu sehen, obwohl das zunehmend wenig Sinn ergab, denn der Nebel verdichtete sich jetzt selbst auf Wasserhöhe. Sein neugewonnener Nachbar nestelte ein wenig herum, bevor er ihn ansprach. »Hoffentlich bereitet es Ihnen kein Problem, dass ich neben Ihnen Platz nehme. Grausam, das Pöbelpack dort auf dem Kai. Sie sind sicherlich auch Geschäftsmann? Gestatten, Duckstein, Dieter Duckstein.«
Olli stellte sich kurz vor. Er musste sich nicht verstecken, denn sein kleines Internetunternehmen florierte schließlich wieder. Sein Sitznachbar schien jedoch bemerkt zu haben, dass er sich irgendwie gestört gefühlt hatte, denn er begann, sich für sein Auftauchen zu entschuldigen. »Bitte, Herr Heldt, verstehen Sie mich nicht verkehrt. Ich wollte ursprünglich von Büsum nach Helgoland
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