Bädersterben: Kriminalroman
etwas zuleide tun. Das ist schon seltsam, dass der Jörn Rost ihn dermaßen in die Zange nimmt. Wenn man nur wüsste, warum? Glauben Sie mir, wir sind eine ehrbare Familie.«
Teilnahmsvoll nickte Stuhr ihr zu.
Jörn Rost schrieb jetzt fleißig Protokoll. Irgendwann erhoben sich beide, der Polizist verabschiedete sich kurz grüßend und drückte sich an ihnen vorbei zum Eingang. Die Tür fiel ins Schloss und hinterließ gespannte Stille. Schließlich kam Fiete Rasmussen wie ein begossener Pudel um die Ecke geschlichen und fiel seiner Schwägerin in den Arm. Wie ein Geschwisterpaar, das zwangsweise getrennt werden soll, hielten sich beide sekundenlang fest im Arm. Fiete liefen die Tränen über die Wangen. Schließlich drückte Anna Maria ihn mit einem Fingerzeig auf ihren Mann energisch weg. Rasmus Rasmussen jedoch war heftig am Skatkloppen und hatte wie die gesamte Runde das Ende des Verhörs nicht mitbekommen.
So ganz verstand Stuhr nicht, warum Anna Maria Rasmussen diesen vertrauten Moment unterbrach, denn wie ein Liebespaar wirkten die beiden nun wirklich nicht. Sie schienen sich eher gegenseitig in schwierigen Zeiten zu stützen. Aber Zeit, darüber nachzudenken, hatte Stuhr nicht, denn die Rasmussen komplimentierte ihn unerwartet hinaus. »Denken Sie sich nichts dabei, Herr Stuhr. Blut ist eben dicker als Wasser. Es ist schon unglaublich, was sie in den letzten Stunden mitbekommen haben. Am besten, Sie vergessen das alles ganz schnell, sonst muss ich noch denken, dass Sie der Spion sind.«
Stuhr lachte laut, aber es fiel ihm schwer, ihrem Blick standzuhalten, der ihn durchdrang. Er hatte nicht das Zeug zum Lügner. Geordneter Rückzug, nur das konnte jetzt die Devise sein. »Keine Sorge, Frau Rasmussen, ich wollte nicht in Ihre Familiengeheimnisse eindringen. Ich ziehe mich zurück. Es war ein anstrengender Tag.« Er winkte den beiden zum Abschied zu.
Mit Zufriedenheit registrierte die Hotelchefin, dass er das Treppenhaus zu seinem Zimmer anstrebte. Sie schien ihn zum Schluss tatsächlich loswerden zu wollen. So begab sich Stuhr auf sein Zimmer und drehte zunächst den Wasserhahn über der Badewanne an. Das Rauschen würde in diesem Haus aus den 60er-Jahren in allen Räumen zu hören sein, sicherlich auch im Schankraum. Dann löschte er das Licht und schlich zum Fenster. Wenig später hörte er, wie die Hoteltür ins Schloss fiel und sah, wie ein nachdenklicher Fiete Rasmussen zum Fahrstuhl ins Unterland schlich, um dort geduldig auf die nächste Fahrt zu warten.
Zehn Minuten später wurde die Tür des Hotels leise verschlossen, und es überraschte Stuhr nicht zu beobachten, dass sich Anna Maria Rasmussen zur anderen Seite wegschlich und in die Gasse einbog, die zu den Kneipen im Oberland führte. Unerwartet bewegte sich jetzt von der schützenden Ecke des Nachbarhauses eine Stilikone der Siebziger in das trübe Licht der Straßenlaterne, die die triste Bepflasterung und Bebauung aus den 60er-Jahren auch nicht in ein besseres Licht tauchte. Mit geöffneten Armen trat die Gestalt Anna Maria Rasmussen entgegen und nahm sie in den Arm. Es war zweifelsfrei Dieter Duckstein, und es war eine völlig andere Umarmung als eben noch mit ihrem Schwager im Schankraum.
Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass sich die Tür zum Fahrstuhl öffnete. Noch bevor Fiete Rasmussen im Fahrstuhl verschwinden konnte, torkelten drei verwegene Gesellen ins Freie, und dahinter folgte ausgerechnet Olli. Sollte er Rasmussen und dem Duckstein auf der Spur sein? Das hätte Olli klasse erledigt.
Stuhr zückte sein Handy, um Olli auf den neuesten Stand zu bringen. Von seinem Hotelfenster aus konnte er beobachten, wie sein Kollege in die Hosentasche griff, um seinen Anruf entgegenzunehmen. Stuhr gratulierte ihm dazu, auf der richtigen Spur zu sein. Dann berichtete er kurz von dem Verhör von Fiete Rasmussen und wünschte ihm Glück für seine Mission. Als Stuhr auflegte, blieb ihm auch aus seiner Beobachterposition nicht verborgen, dass Olli irritiert wirkte.
Doch Olli schien mehr kriminalistisches Gespür zu besitzen, als er ihm jemals zugetraut hätte, denn zielstrebig bewegte dieser sich nun auf die Straßenleuchte zu, unter der sich Anna Maria Rasmussen und Dieter Duckstein eben noch umarmt hatten.
Die beiden waren inzwischen im tristen Dschungel der Nachkriegsbebauung entschwunden. Stuhr war zufrieden, denn Olli war ihnen auf den Fersen.
21 Knüllegard Hilf
Olli atmete noch einmal tief durch, bevor er sich auf den Weg zum
Weitere Kostenlose Bücher