Bär, Otter und der Junge (German Edition)
irgendetwas verdient? Ich erinnere mich daran, was sie in dieser letzten Nacht, in der wir gestritten hatten, zu mir gesagt hatte: Du hast mein Herz gebrochen, aber ich habe es dir aus freien Stücken gegeben. Wenn sie mir das geben konnte, dann könnte ich auch mein Bestes tun, ihr etwas zurückzugeben, egal wie wenig es auch sein mochte.
Seufzend erhob ich mich wieder vom Stuhl und ging hinaus in den Verkaufsbereich. Als ich mich ihr näherte, blickte ich die Reihen entlang und stellte fest, dass der Laden leer war. Sie hörte meine Schritte und sah überrascht auf. Ich lächelte schwach. Einen Moment lang sag sie erschreckt aus, dann lächelte sie zurück, genauso schwach. Ich fühlte ein Fünkchen Erleichterung und ging weiter, bis ich vor ihr stand.
„Hey“, sagte sie.
„Selber hey“, antwortete ich und erinnerte mich daran, wie Otter gerade eben noch diesen Austausch mit Ich liebe dich fortgesetzt hatte. Ich lachte leise in mich hinein und fragte mich, was Anna wohl denken würde, wenn sie meine Gedanken lesen könnte.
„Was gibt’s?“, fragt sie mich.
„Nichts. Was gibt’s bei dir?“
Anna neigt den Kopf, als wolle sie die Ernsthaftigkeit meiner Worte abwägen. „Das Selbe wie immer“, erwiderte sie langsam. Sie warf einen Blick hinunter auf ihre Zeitschrift und sah dann wieder mich an, versuchte anscheinend, sich zu entscheiden, auf was sie ihre Aufmerksamkeit richten sollte.
„Das ist gut, oder?“, sagte ich und klang dabei offensichtlich besonders intelligent.
„Schätze schon.“
Eine unangenehme Stille machte sich zwischen uns breit. Ich rang plump mit meinen Händen und sie saß noch immer mit ihren Kopf zur Seite geneigt. Ich versuchte, mir irgendetwas einfallen zu lassen, was ich sagen konnte und war verblüfft, dass mir kein einziges Wort einfiel. Hier war das Mädchen, das ich kannte, seit ich acht war, das Mädchen, mit dem ich aufgewachsen bin, mit dem ich geschlafen habe, mich unterhalten habe, mit dem ich alles getan habe. Mir wurde klar, dass das hier eine ganz schlechte Idee war. Mir fielen acht oder neun Möglichkeiten ein, wie ich mich wieder zurückziehen könnte, aber dann sprach sie wieder.
„Wie geht’s dem Jungen?“
„Oh, gut!“, antwortete ich erleichtert. „Die Schule ist jetzt vorbei, also geht’s ihm jetzt... gut.“
Sie nickt zustimmend. „Das ist gut.“
„Ja, das ist gut.“ Hör auf, gut zu sagen! „Er wollte, dass ich dir Grüße ausrichte“, log ich, denn er hatte niemals etwas in der Art zu mir gesagt.
„Okay, richte ihm auch Grüße von mir aus.“
„Mach ich“, sagte ich schwitzend. Es schien ein geeigneter Moment zu sein, davonzulaufen. Ich winkte und hatte mich bereits zur geplanten Flucht zurück in meine Höhle umgedreht, als sie meinen Namen sagte. Ich erstarrte, wollte nichts mehr, als weiter zu laufen, die Tür hinter mir zuschlagen und mich verstecken, bis sie gegangen war. Aber ich drehte mich um.
Ihre Gesichtszüge waren weicher geworden und ihre Augen blickten freundlich drein. „Wie geht’s dir?“, fragte sie.
„Mir geht’s gut“, antwortete ich und zwang mich zu einem Lächeln.
„Okay, dann freu ich mich für dich“, sagt sie leise. „Ich hab mir um dich Sorgen gemacht, Bär.“
„Warum?“
„Weil du zu den Menschen gehörst, die sich niemals um sich selbst sorgen. Irgendjemand muss es für dich tun“, sagte sie traurig.
„Du musst das nicht tun“, sagte ich. „Ich kann mich um mich selbst kümmern.“
Sie schüttelte den Kopf. „Das hab ich nicht gemeint. Ich weiß, dass du absolut in der Lage bist, dich um dich selbst zu kümmern. Und um Ty. Ich meine, du tust es schon seit Jahren, stimmt's?“
„Stimmt“, antworte ich, ohne zu wissen, was ich sonst sagen sollte.
Sie seufzte. „Also frage ich mich, warum ich mir um dich Sorgen mache, wenn du mich dazu gar nicht brauchst. Du hast mich nie dazu gebraucht, aber hier bin ich und tue es trotzdem.“
Ich zuckte zusammen. „Komm schon, Anna. Du weißt, dass das nicht stimmt.“
Sie sah weg. „Aber du weißt, dass es so ist. Es ist nicht so, dass du nicht wolltest , dass ich es tue. Es ist nur so, dass du es nicht gebraucht hast. Ich schätze, das war ein Teil unseres Problems.“
„Schätze schon“, antworte ich, nicht wirklich sicher, wovon sie eigentlich sprach.
„Wie geht’s Otter?“, fragte sie und wechselte somit schnell das Thema. Es brachte mich dazu, mich zu fragen, ob sie mich in einem unbedachten Moment erwischen wollte, mich
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